Familie Scheuer


Die Stolpersteine für die Familie Scheuer, An der Karlsschanze 16


Hans Scheuer

  • geboren am 31. Januar 1897 in Mainz
  • wahrscheinlich bei dem Versuch der Ausreise über die Schweiz verhaftet
  • zwangsweise in einem sogenannten ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 42 einquartiert
  • ermordet am 2. Oktober 1942 in Treblinka

Liselotte Barbara Josephine Scheuer, geb. Lekisch

  • geboren am 8. Februar 1908 in Mainz
  • wahrscheinlich bei dem Versuch der Ausreise über die Schweiz verhaftet
  • zwangsweise in einem sogenannten ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 42 einquartiert
  • ermordet am 2. Oktober 1942 in Treblinka

Stefan Karl Scheuer

  • geboren 25. März 1931 in Mainz
  • wahrscheinlich bei dem Versuch der Ausreise über die Schweiz verhaftet
  • zwangsweise in einem sogenannten ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 42 einquartiert
  • ermordet am 2. Oktober 1942 in Treblinka

Claus Michael Scheuer

  • geboren am 28. Dezember 1934 in Mainz
  • wahrscheinlich bei dem Versuch der Ausreise über die Schweiz verhaftet
  • zwangsweise in einem sogenannten ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 42 einquartiert
  • ermordet am 2. Oktober 1942 in Treblinka

Fluchtland Schweiz

Zahlreiche von den Nationalsozialisten verfolgte Menschen versuchten zwischen 1933 und 1945 in die Schweiz zu flüchten. Zwar hatte der Staat den Ruf eines traditionellen Asyllandes, doch zeigte die Flüchtlingspolitik des Landes, dass die Bereitschaft Asyl zu gewähren, nicht für alle Personengruppen gleichermaßen galt. Der 1999 veröffentlichte Bericht einer unabhängigen Expertenkommission zur Rolle der Schweiz bezüglich der Flucht vor dem Nationalsozialismus sieht im weit verbreiteten Antisemitismus die Ursache dafür, dass „die Verfolgung der Juden entweder nicht richtig wahrgenommen wurde oder aus dem Wissen keine Konsequenzen zugunsten der Opfer erfolgten.“ (Pressekonferenz Einleitungsreferat 1999, S. 2). Trotzdem gelang rund 22.500 jüdischen Verfolgten die Flucht in dieses Land. Hilfe und Unterstützung erhielten diese von privaten Freiwilligenorganisationen und ihren schweizerischen Glaubensgenoss*innen.

Für die schweizerische Flüchtlingspolitik waren zwei politische Entscheidungen von zentraler Bedeutung:
Die Annexion Österreichs am 13. März 1938 führte zu einem Anstieg der Zahl der jüdischen Flüchtenden. Um diese Zahl einzudämmen, erwog die Schweiz eine Visumspflicht für Deutsche einzuführen, zu denen auch die ehemals österreichischen Staatsbürger*innen gehörten. Da dies auf den Widerstand Deutschlands stieß, regte die Schweiz an, einen Sichtvermerk in die Reisepässen ‚nichtarischer‘ deutscher oder ehemals österreichischer Staatsbürger*innen einzutragen. Im Oktober 1938 wurde der „J“-Stempel eingeführt, der den im Reich lebenden Jüdinnen*Juden die Emigration und Flucht enorm erschwerte.

Am 13. August 1942 schloss die Schweiz ihre Grenzen für aus ‚rassischen Gründen‘ Flüchtende. Mittlerweile waren Informationen über Deportationen, Konzentrationslager und Massenmorde in die Schweiz gelangt, sodass die Verantwortlichen wussten, dass abgewiesenen Schutzsuchenden der Tod drohte. Zwar kritisierte die Presse die Grenzschließung, und Teile der Bevölkerung protestierten dagegen, doch wurden Tausende von Flüchtenden an der Grenze abgewiesen. Eine menschliche Flüchtlingspolitik hätte diese vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten und ihrer Gehilfen bewahrt. So konnten durch den engagierten Einsatz einzelner Beamt*innen und illegal agierender Fluchthelfer*innen nach 1942 nur wenige Menschenleben durch eine gelungene Flucht in die Schweiz gerettet werden.


Hans Scheuer, geboren am 31. Januar 1897 in Mainz, entstammte einer alteingesessenen Familie, die über vier Jahrzehnte – zusammen mit ihren Geschäftspartnern Plaut – die Herren und Knabenbekleidungsfabrik Scheuer & Plaut mit zugehörigem Geschäft betrieb. Die Firma war 1890 von Nathan Scheuer und Josef Plaut gegründet worden. Nachdem Nathan Scheuer mit nur 53 Jahren im Januar 1920 verstarb, übernahmen seine Witwe Rosa und seine beiden Söhne Walter und Hans die Geschäfte. Während Walter Scheuer, der ältere der beiden Söhne, sich um die Auswahl der Stoffe kümmerte, übernahm Hans Scheuer den Vertrieb.Gesellschaftszweck der AG waren „Fabrikation sowie Vertrieb von Herren- und Knabenkleidern, Konfektion jeder Art im Großen und im Kleinen“. Das Unternehmen veröffentlichte Kataloge mit einem reichhaltigen Angebot: Anzüge jeder Art für Herren vom Frack bis zum Tennis- und Strandanzug, Mäntel, Autobekleidung sowie Jungenanzüge für unterschiedliche Zwecke. Außerdem wurden Maßanzüge angefertigt. Vor der NS-Zeit hatten Fabrikation und Großhandel einen Jahresumsatz von 5 Mio. RM, das Bekleidungsgeschäft einen Umsatz von etwa 1,5 Mio. RM jährlich.



Hans Scheuer heiratete 1930 Liselotte Barbara Josephine Lekisch. Sie war am 8. Februar 1908 ebenfalls in Mainz geboren.
Das Ehepaar hatte drei Söhne: den 1931 geborenen Stefan Karl, den 1933 geborenen Axel Michael, der mit nur knapp acht Monaten bereits verstarb, sowie den 1934 geborenen Claus Michael. Die Familie lebte bis 1938 in einer Wohnung An der Karlsschanze 16.

Auch wenn die ‚Arisierung‘ der Scheuer & Plaut AG ein langwieriger Prozess war, da weder Walter noch Hans Scheuer noch die Plauts bereit waren, das Familienunternehmen kampflos aufzugeben, musste die Familie aufgrund des steigenden Drucks der Nationalsozialisten das zum Unternehmen gehörende Bekleidungsgeschäft in der Schusterstraße bereits 1936 aufgeben.



Zunächst wurde das zum Unternehmen gehörende Bekleidungsgeschäft in der Schusterstraße 47–49 ‚arisiert‘ und im Februar 1936 unter dem Firmennamen Hans Zerr neu eröffnet. Zerr wies in dieser Zeitungsanzeige darauf hin, dass er ein deutsches Spezialgeschäft für Herrenkleidung betrieb.


Im Februar 1936 eröffnete es unter dem Firmennamen Hans Zerr neu. Zerr wies in einer Zeitungsanzeige darauf hin, dass er ein deutsches Spezialgeschäft für Herrenkleidung betrieb.

Der Prozess der sogenannten ‚Arisierung‘ setzte sich fort. So wurde 1937 die Aktiengesellschaft Scheuer & Plaut gelöscht, 1938 wurde die Firmenleitung drei nicht-jüdischen Prokuristen übertragen und schließlich wurden die bisherigen Inhaber Scheuer und Plaut 1942 aus dem Handelsregister gestrichen.


Hans Scheuers älterer Bruder Walter, der 1940 mit seiner Familie nach Mexiko emigrieren konnte, beschreibt die Wohnung seines Bruders Hans in einer Entschädigungsakte wie folgt: Es gab ein Speisezimmer, ein Herrenzimmer mit einer Bibliothek von ca. 2.000 Bänden mit Erst- und Sonderausgaben, ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer, ein Kinderspielzimmer, eine Küche mit achtflammigem Gasherd, Eisschrank und Staubsauger und ein Badezimmer. Hans Scheuer besaß zudem einen Steinweg-Flügel. Die Familie Scheuer hatte also eine große, gutbürgerliche Wohnung in der Mainzer Oberstadt. In der Pogromnacht des 9. November 1938 wurde die Wohnung durch Arbeiter der Bekleidungsfabrik völlig zerstört.
Hans Scheuer wurde vom 10. bis 20. November im KZ Buchenwald inhaftiert. Die Familie zog daraufhin in das Firmengebäude in der Schusterstraße 47–49.


Kennkarte von Claus Scheuer, Seite 1

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Aber erst drei Jahre nach den Erlebnissen der Pogromnacht, hatte auch Hans Scheuer die Absicht, mit seiner Familie auszuwandern. Doch wahrscheinlich wurde die Familie bei dem Versuch der Ausreise über die Schweiz aus dem Zug geholt. Anschließend wurden sie zwangsweise in einem sogenannten ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 42 einquartiert. Von dort aus wurden sie am 30. September 1942 über Darmstadt deportiert und vermutlich in Treblinka ermordet.

Nach dem Krieg führte Walter Scheuer gegen alle Arisieure einschließlich Hans Zerr insgesamt vier Wiedergutmachungsprozesse, die alle zumindest mit einem Vergleich endeten. Die ‚Arisierung‘ wurde insgesamt als unrechtmäßig erklärt.


Grabsteine der Familie Scheuer

Text: Cornelia Dold und Henrik Drechsler

Redaktionelle Bearbeitung: HdE



Literaturhinweise und Quellen:

Alles, Heike: Familie Scheuer, in: Knigge-Tesche, Renate/ Brüchert, Hedwig (Hg.): Der Neue Jüdische Friedhof in Mainz. Biographische Skizzen zu Familien und Personen, die hier ihre Ruhestätte haben (Sonderheft der Mainzer Geschichtsblätter), Mainz 2013, S. 261–265 und weitere dort genannte Quellen.

Pressekonferenz; Einleitungsreferat von Prof. Dr. Jean-François Bergier: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus – die wichtigsten Ergebnisse, Bern 10. Dezember 1999, URL: <http://www.uek.ch/de/ presse/pressemitteilungen/991210d.html> [aufgerufen am 18.01.2024].

Schweizerische Flüchtlingshilfe: Über uns, URL: <https://www.fluechtlingshilfe.ch/ueber-uns/geschichte> [aufgerufen am 18.01.2024].

Sibold, Noëmi: Zweiter Weltkrieg: Flüchtlingshilfe. SIG Factsheet 2012, URL: <https://swissjews.ch/de/services/wissen/factsheets/zweiter-weltkrieg-fluechtlingshilfe/> [aufgerufen am 18.01.2024].

Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, Zürich 2001 (Veröffentlichungen der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Bd. 17), URL: <https://www.uek.ch/de/publikationen1997-2000/fberd.pdf> [aufgerufen am 18.01.2024].




Die Stolpersteine wurden am 19. September 2023 An der Karlsschanze 16 verlegt.

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