„Alldeutschen Verbandes“

Der „Alldeutsche Verband“ wurde 1891 als „Allgemeiner Deutscher Verband“ gegründet und 1894 dann in „Alldeutscher Verband“ umbenannt. Er hatte von 1891 bis 1939 Bestand und galt als einer der führenden radikal nationalistischen und völkisch-rassistischen Verbände.

Der Verband verfolgte als Ziel die Expansion des Kaiserreichs durch eine imperialistische Kolonialpolitik, den Ausbau der Flotte, die sich zugunsten des Landheeres in Preußen bisher immer im Hintergrund befunden hatte, sowie einen beständigen Nationalismus, der radikal das sogenannte ‚Deutschtum’ voranbringen und damit einhergehend Minderheiten zurückdrängen sollte. Die Strategie des Verbandes wurde bereits kurze Zeit nach der Gründung zunehmend antisemitisch und der Verband bereitete mit seinen ideologischen Zielen dem Nationalsozialismus den Boden. Ursprünglich wurde der „Alldeutsche Verband“ aufgrund des „Helgoland-Sansibar-Vertrages“ zwischen dem deutschen Kaiserreich und Großbritannien ins Leben gerufen. Der Vertrag sollte die Frage nach den Hoheitsansprüchen im sowohl vom Kaiserreich als auch Großbritannien kolonialisierten Afrika und die Übergabe von Helgoland an das Deutsche Kaiserreich seitens Großbritannien regeln. Viele Gegner des „Helgoland-Sansibar-Vertrags“ schlossen sich zunächst zum „Allgemeinen Deutschen Verband“ zusammen, um den geplanten Vertrag zu verhindern und um sich eine antibritische Haltung zu bewahren. Schnell manifestierte sich die Marschrichtung des Verbandes: ein völkisch-antisemitischer Nationalismus bildete sich heraus und es entstand eine ‚neue Rechte’, die zum Teil noch weiter rechts als die Regierung selbst positioniert war. Bekannte Mitglieder waren unter anderem Felix Dahn und Ernst Haase, die neben dem „Alldeutschen Verband“ auch noch dem „Deutschen Patriotenbund“ angehörten, sowie Heinrich Claß. Ernst Haase war bis 1908 Vorsitzender des Verbandes und wurde von dem aus Alzey stammenden Heinrich Claß abgelöst, der seit 1897 Mitglied des Verbandes war und schnell in dessen Führungsstrukturen aufstieg. Claß stand für einen weiteren außerparlamentarischen und rechtsnationalistischen Oppositionskurs des Verbandes und konnte unter anderem auch Einfluss auf konservative Parteien ausüben. Er versammelte viele junge Gleichgesinnte um sich, die das gleiche Denken wie er selbst besaßen: antisemitisch, antimarxistisch, antidemokratisch, imperialistisch ausgerichtet und verbunden mit einem autoritären Populismus. Sein politisches Programm, das von rassistischem Antisemitismus und darwinistischen Lebensraumvorstellungen geprägt war, veröffentlichte Claß 1912 unter dem Pseudonym Daniel Frymann in einem Pamphlet mit dem Titel „Wenn ich der Kaiser wär‘. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten“. Die überwiegend positive Resonanz auf das Pamphlet der Alldeutschen verdeutlicht, dass die alldeutsche Marschrichtung keinesfalls alleine dastand. Der „Deutsche Flottenverein“ von 1898, der „Deutsche Ostmarkenverein“ von 1894, der „Deutsche Wehrverein“ von 1912, für dessen Gründung sich Claß mitverantwortlich zeigte, der „Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“ von 1912, der „Reichshammerbund“ von 1912 und der geheime „Germanenorden“ von 1912 gehörten alle zum breiten Interessensnetz des „Alldeutschen Verbands“. Eine parlamentarische Mehrheit konnten die Alldeutschen und alle mit ihnen vernetzten Verbände nicht erreichen, da ihnen unter anderem die Sozialdemokratie und der Linksliberalismus entgegenstanden. Allerdings breitete sich das extrem nationalistische und antisemitische Gedankengut in der Gesellschaft zunehmend aus. Durch enge Kontakte zu Studentenverbindungen konnte so bereits um 1900 das Ziel erreicht werden, Jüdinnen*Juden aus diesen auszuschließen oder ihnen die Aufnahme zu verweigern. Auch wenn sich der Antisemitismus auf politischer Ebene noch keine Bahn brach, waren judenfeindliche Stereotype in konservativen als auch in (national)liberalen Parteien sowie in der breiten Bevölkerung durchaus existent. Der Antisemitismus zeigte sich auch in der Armee. Der Kriegsminister ließ im Oktober 1916 eine Erhebung über alle im Heer beschäftigten Juden durchführen, wohl auch aufgrund des Einflusses des „Alldeutschen Verbands“.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges agitierte der „Alldeutsche Verband“ unter dem Vorsitz von Claß gegen die Weimarer Republik. In seiner Propaganda forderte der Verband eine ‚nationale Diktatur‘, in der – mit deutlichem Antisemitismus – gegen ‚fremdes Volkstum‘ vorgegangen werden sollte. Gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung verlor der Verband Ende der 1920er-Jahre zunehmend an Einfluss und schloss sich letztlich am 11. November 1931 der „Harzburger Front“ an. Der immer bedeutungsloser werdende „Alldeutsche Verband“ wurde im NS-Regime zunächst geduldet, im Frühjahr 1939 jedoch aufgelöst.


Literaturhinweise:

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Berkessel, Hans/ Brüchert, Hedwig/ Dobras, Wolfgang/ Erbar, Ralph/ Teske, Frank (Hrsg.) Leuchte des Exils. Zeugnisse jüdischen Lebens in Mainz und Bingen. Mainz 2016, darin bes.: S. 82–92.

Erbar, Ralph: Dr. Heinrich Claß (1868–1953) – ein Wegbereiter des Nationalsozialismus?, in: Meyer, Hans-Georg/ Berkessel, Hans (Hrsg): Die Zeit des Nationalsozialismus in Rheinland-Pfalz, Bd. 1 „Eine nationalsozialistische Revolution ist eine gründliche Angelegenheit.“,. Mainz 2000, S. 41–49.

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Könnemann, Erwin: Umsturzpläne der Alldeutschen im Jahre 1919 und ihre Haltung zum Kapp-Putsch im März 1920, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (1990), H. 38, S. 438–447.

Kruck, Alfred: Geschichte des Alldeutschen Verbandes 1890–1939. Wiesbaden 1954.

Peters, Michael: Der Alldeutsche Verband am Vorabend des Ersten Weltkrieges (1908–1914). Ein Beitrag zur Geschichte des völkischen Nationalismus im spätwilhelminischen Deutschland. Frankfurt/Main 1992. Vordermayer, Thomas: Bildungsbürgertum und völkische Ideologie. Konstitution und gesellschaftliche Tiefenwirkung eines Netzwerks völkischer Autoren (1919–1959), Berlin 2016.


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