Ludwig und Rosa Ganz


Stolperstein für Rosa Ganz, geb. Gans

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© HdE


Ludwig Ganz

  • geboren am 11. Januar 1865 in Weisenau
  • gedemütigt und entrechtet
  • gestorben am 29. April 1942

Rosa Ganz, geb. Gans

  • geboren am 10. November 1867 in Schöneberg/Kreis Stromberg
  • am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert; ermordet am 1. März 1943

Juden und Wein

Bereits seit rund 2000 Jahren sind die Region Rheinhessen und auch große Teile des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz vom Wein geprägt. Die hier ansässigen Römer brachten ihr Wissen über den Weinanbau mit und auch die ersten hier lebenden Jüdinnen*Juden verwendeten Wein, vor allem zu rituellen Zwecken. Dessen Bedeutung lässt sich bereits in der Bibel nachlesen, in der beispielsweise das Volk Israel mehrfach als „Weinstock“ bezeichnet und auch die frühen Rabbinen brachten Wein mit Geist und Gelehrsamkeit in Verbindung. Die Heiligung des Schabbats und die Hawdala-Zeremonie, die am Ende eines Feiertags steht, sollte daher mit einem Becher Wein erfolgen. Die Bedeutung des Weins für den rituellen Zweck sorgte dafür, dass strenge Vorschriften für die Herstellung und Verwendung des Weins galten, Trauben und Weinerzeugnisse von Nichtjuden waren zunächst nicht für den Konsum und Handel zugelassen. Das im Jahr 1090 gewährte Privileg Kaiser Heinrichs IV. für die Speyerer Jüdinnen*Juden erlaubte erstmals den erblichen Besitz von Weingärten und an Rhein und Mosel, den traditionellen Weinanbaugebieten, besaßen einzelne Juden seit dem Frühmittelalter Weinberge. Gerade auch für die Zeit des SchUM-Städteverbandes ist ein reger Handel mit Weinen nachgewiesen und Lockerungen in den religiösen Verordnungen machten es jüdischen Händlern möglich, auch nichtkoschere Weine zu handeln. Die stetige Nachfrage und der Ausbau der Produktion im 18. und 19. Jahrhundert, sorgten für einen Anstieg der jüdischen Weinmakler, die wie ihre christlichen Kollegen, die Logistik und den Vertrieb organisierten. Dass dabei in manchen Orten der Großteil des Weinhandels von jüdischen Kaufleuten organisiert wurde, sorgte bereits im 19. Jahrhundert für antisemitische Diffamierungen, während andernorts beispielsweise auch christliche und jüdische Winzer*innen in denselben Genossenschaften organisiert waren. Die nationalsozialistische Propaganda im Südwesten diffamierte die jüdischen Weinhändler*innen und Winzer*innen, warf ihnen Panscherei vor und veranstalte Schauprozesse gegen angebliche Betrüger. Auch beim Mainzer Rosenmontagszug wurden die Vorwürfe thematisiert und auf einem antisemitischen Motivwagen präsentiert. Die ‚Arisierung‘ zahlreicher Betriebe führte zu einem abrupten Ende der jahrhundertealten Tradition jüdischer Winzer*innen und Weinhändler*innen. In Rheinland-Pfalz werden seit einigen Jahren wieder koschere Weine erzeugt, deren Entstehungsprozess von einem Rabbiner begleitet wird und die vor allem nach Israel und Polen exportiert werden.


Ludwig Ganz kam als ältester von vier Söhnen des Eisen- und Metallhändlers Jakob Ganz und seiner Frau Sara, geb. Löwenstein, am 11. Januar 1865 in Weisenau zur Welt. Seine Frau Rosa, geb. Gans, wurde am 10. November 1867 in Schöneberg/Kreis Stromberg als viertes von sechs Kindern von Heinrich Gans und seiner Frau Johannette, geb. Kann, geboren. Ihr Vater war Teilhaber der Firma Gebrüder Gans & Cie. und verdiente seinen Lebensunterhalt als Schrott- und Metallhändler wie später auch ihre drei Brüder.

Blick in die Mainzer Taunusstraße, 1914

Ludwig und Rosa hatten am 20. Juni 1893 in St. Johann/Saar, dem Wohnort ihrer Familie, geheiratet. Ein Jahr später – am 27. Mai 1894 – kam ihr einziger Sohn Arthur in der Mainzer Dagobertstraße 7 zur Welt. Die Familie zog danach in die Neutorstraße 12, anschließend, im Jahr 1902, an den Gutenbergplatz 10 und kurz darauf, im Jahr 1904 in die Bahnhofstraße 9. Erst 20 Jahre später, mit dem Kauf des Hauses Taunusstraße 13, erfolgte der nächste Umzug in eine 6-Zimmer-Wohnung im 1. Stock. Als Weinhändler führte Ludwig Ganz seit 1898 die Weingroßhandlung „Ludwig Ganz und Cie.“ zunächst mit Büro in der Neutorstraße 9, die gegenüber seiner Wohnung lag. Von 1904 bis 1909 betrieb er die Firma gemeinsam mit seinem Bruder Isidor in der Gaustraße 16. Zwischen 1910 und 1914 verlegte Ludwig sein Büro in das Erdgeschoss seines Wohnhauses in die Bahnhofstraße 9. Hier befand sich auch eine eigene Kellerei, ebenso wie in der Großen Bleiche 16, wo er Wein aus seinen „Weinbergbesitzungen“ in Laubenheim und Mainz-Kostheim produzierte. Zum 1. Januar 1922 stieg Arthur in das Geschäft seines Vaters ein und sie firmierten unter „Weinhandlung Ludwig und Arthur Ganz“. Mit dem privaten Umzug in die Taunusstraße 13 änderte sich 1930 schließlich auch die Büroadresse der Weinhandlung. Sie wurde jedoch am 22. Juni 1939 aufgelöst, das Haus 1940 ‚arisiert‘, verkauft und der Gegenwert beschlagnahmt. Auch die Weinberge wurden 1941 entzogen und verkauft.


Kennkarte von Ludwig Ganz © Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland

In der Pogromnacht am 10. November 1938 mussten Rosa und Ludwig Ganz bereits erleben, wie ihre Wohnung von den Nationalsozialisten geplündert und demoliert wurde, nachdem sie zuvor schon ihre wertvollen Gold-, Silber- und Schmucksachen abgeliefert hatten. Schließlich wurde das Ehepaar in das ‚Judenhaus‘ Kaiserstraße 53 in ein beengtes Zimmer umgesiedelt, die Küche mussten sie sich mit weiteren Menschen teilen. Nachdem Ludwig Ganz aufgrund seiner Diabetes im jüdischen Krankenhaus Frankfurt ein Bein amputiert worden war, verstarb er am 29. April 1942 an Kreislaufschwäche und wurde auf dem Neuen Jüdischen Friedhof beigesetzt. Seine Witwe Rosa musste noch einmal umziehen, diesmal in das jüdische Altersheim und Krankenhaus Gonsenheimer Straße 11–13 (heute Fritz-Kohl-Str. 11), das damals schon völlig überbelegt war. Von hier wurde sie am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 1. März 1943 ermordet. Auf dem Grabstein ihres Mannes steht auch ihr Name mit dem Hinweis auf ihren Tod in Theresienstadt, den vermutlich ihr Sohn Arthur posthum hat anbringen lassen.

Arthur, der im März 1912 am Herbst-Gymnasium das Abitur absolviert hatte, studierte – unterbrochen von seinem Dienst an der Front im Ersten Weltkrieg – Rechtswissenschaften an den Universitäten Freiburg, Bonn, München, Berlin, Gießen und Frankfurt und schloss in Erlangen mit der Promotion über deutsch-französisches Handelsrecht ab. Seit 1919 wohnte er wieder mit seinen Eltern in der Bahnhofstr. 9 und arbeitete sowohl als Weinhändler in der Weinhandlung seines Vaters als auch als Syndikus bei der Frankfurter Zementplattenfabrik „Lohr A.G.“ Am 12. Juni 1929 heiratete er die einzige Tochter eines vermögenden Frankfurter Teppichhändlers, Irmgard Henrietta Brumlik, genannt Jetta. Der gemeinsame Sohn Claus Diether kam am 5. August 1931 in Frankfurt zur Welt. 1934 wurde Arthur aufgrund der antisemitischen Gesetze aus dem Arbeitsverhältnis bei der Firma Lohr entlassen und bezog zusammen mit Frau und Kind eine 3-Zimmer-Wohnung im Haus seiner Eltern in der Taunusstraße 13. Durch die zunehmenden Repressalien floh die dreiköpfige Familie 1934 schließlich nach Frankreich, wo bereits Irmgards Eltern lebten.

Nach mehreren Umzügen und Internierungen Arthurs gelang den dreien im September 1942 zu Fuß die Flucht in die Schweiz nach Davos. 1947 emigrierten sie über Frankreich nach San Francisco in den USA. Gesundheitlich sehr angeschlagen gelang es Arthur und seiner Frau nicht mehr, beruflich Fuß zu fassen, sodass sie zunächst auf Zuwendungen des wohlhabenden Schwiegervaters angewiesen waren. Nach erfolgreichen Entschädigungsklagen erhielten beide eine Rente aus ihrer ehemaligen Heimat Deutschland. Am 15. Juni 1979 verstarb Arthur im Alter von 85 Jahren in San Francisco. Sein Frau Irmgard starb vermutlich 1988.



Text: Christine Schwarz

Redaktionelle Bearbeitung: HdE



Quellen- und Literaturhinweise:

Familienregister Mainz
Adress- und Gewerbetagebücher Mainz (1898–1940)
Landesamt für Finanzen/Amt für Wiedergutmachung, Saarburg: Entschädigungsakte 18 934
Dr. Arthur Ganz
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Entschädigungsakten von Otto Brumlik, Liesel
Brumlik und Irmard Jetta Ganz, geb. Brumlik
Arisierungsliste von Hartmut Fischer
Heiratsregister Saarland, 1876–1923 (Ancestry)
Geburtsregister der Stadt Mainz, 1872–1900 (Ancestry)
Sterberegister Hessen, 1851–1958 (Ancestry)
www.zentralarchiv-juden.de
www.arolsen-archives.org
Stadtarchiv Saarbrücken: Adressbücher 1886–1897
MARCHIVUM: Adressbuch Mannheim 1899



Die Stolpersteine für Ludwig und Rosa Ganz wurden am 5. Juli 2021 in der Taunusstraße 13 verlegt.

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