Max Tschornicki
- Geboren am 9. August 1903 in Rüsselsheim
- Festgenommen am 11. August 1944, deportiert nach Groß-Rosen (Niederschlesien), ab dem 10. Februar 1945 auf ‚Todesmarsch’ nach Buchenwald, ab März 1945 nach Natzweiler-Struthof (Elsass) und ab April 1945 nach Dachau, wo er am 12. April ankam und acht Tage später verstarb
Karoline Tschornicki, geb. Casper
- Geboren 1876
- Am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 1. Januar 1943 ermordet wurde
Kampf gegen politische Gegner*innen – das Instrument der ‚Schutzhaft‘
Die am 28. Februar 1933 erlassene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“, mit der sämtliche bis dahin existierende Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, war Grundlage und Ausgangspunkt sämtlicher Verfolgungsmaßnahmen gegen politische Gegner*innen und diejenigen Menschen, die nach der NS-Ideologie nicht zur ‚deutschen Volksgemeinschaft‘ gehören sollten. Im Zuge dieser Verordnung etablierte das NS-Regime die zynisch als ‚Schutzhaft‘ bezeichnete, willkürliche und ohne jegliche juristische Grundlage Inhaftierung von Gegner*innen. Der Begriff der ‚Schutzhaft‘ geht auf ein preußisches Gesetz aus dem Jahr 1850 zurück. Dadurch konnten preußische Behörden auch Personen inhaftieren, die keine Straftat begangen hatten. Einzig der Hinweis auf eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung genügte. Unter Kaiser Wilhelm II. wurden während des Ersten Weltkrieges unter dem Begriff der ‚Schutzhaft‘ umfassende Zwangsmaßnahmen ohne gerichtliche Überprüfung verhängt. Auch in der Weimarer Republik verstand man unter ‚Schutzhaft‘ eine Haftform mit verminderten Rechten und verschärften Bedingungen für die Inhaftierten.
Im Nationalsozialismus waren diejenigen, die in ‚Schutzhaft‘ genommen wurden, vollkommen rechtlos. Somit wurde die ‚Schutzhaft‘ zum Synonym für den sich anschließenden NS-Terror. Zur Stabilisierung ihrer neu errichteten Diktatur verfolgten die Nationalsozialisten zunächst die ‚Ausschaltung‘ politischer Gegner*innen. Kritik gegen die NS-Bewegung sollte in der Öffentlichkeit keinen Raum mehr finden. So wurden bereits seit März 1933 zehntausende Gegner*innen der NSDAP – vor allem Mitglieder der SPD, der KPD oder von Gewerkschaften – widerrechtlich verhaftet, inhaftiert und misshandelt. In Rheinland-Pfalz befand sich in Osthofen in der Nähe von Worms ein ‚frühes Konzentrationslager‘, das zur Durchführung der ‚Schutzhaft‘ diente. Das im März 1933 eingerichtete KZ Osthofen bestand bis Juli 1934. In dieser Zeit waren dort schätzungsweise 3.000 ‚Schutzhäftling‘ inhaftiert, von denen heute 1.860 namentlich bekannt sind.
Die Eltern von Max Tschornicki waren orthodoxe Juden russischer Abstammung; der Vater Jakob war jüdischer Kultusbeamter und übte den Beruf des „Schochet“ (Schächter) aus. Am 9. August 1903 wurde Max Tschornicki in Rüsselsheim geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Mainz, wo er auch das „Alte Gymnasium“ besuchte. Er war im Jung-Jüdischen Wanderbund sowie im jungzionistischen Kreis Mainz aktiv. Bereits als Schüler engagierte er sich politisch für die USPD, einer linken Abspaltung der SPD. Da er mehrmals als politischer Diskussionsredner bei Veranstaltungen radikal linker Gruppierungen auftrat, wurde er von der Schule verwiesen. Tschornicki war schon früh Opfer einer antisemitischen Diskriminierung, darüber hinaus aber nach der ‚Machtergreifung’ vor allem aufgrund seines politischen Engagements in akuter Gefahr: Er war Mitglied bei den Jungsozialist*innen, der SPD und im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Nach seiner Schulzeit studierte er Jura und ließ sich als Rechtsanwalt in Mainz nieder.
Als Anwalt hatte er sich in zahlreichen Strafprozessen – meist ging es um Landfriedensbruch als Folge handgreiflicher Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialist*innen und Angehörigen des Reichsbanners – als Verteidiger beziehungsweise Nebenklagevertreter der letzteren profiliert und war auf diese Weise immer wieder in die Schlagzeilen der Lokalpresse geraten.
Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war er noch keine 30 Jahre alt. Vielleicht hatte er die Gefahr, in der er schwebte, unterschätzt. Noch am 6. März 1933 erschien in der sozialdemokratischen Mainzer Volkszeitung sein Beitrag „Neues Ausnahmerecht“, in dem er die ‚Reichstagsbrandverordnung’ vom 28. Februar als den „schwersten und unerhörtesten Eingriff in die persönliche und politische Freiheit des deutschen Staatsbürgers seit dem Kulturkampf und seit der Zeit des Sozialistengesetzes“ kritisierte, der „kein langes Leben beschieden“ sei.
Tschornicki weiter über die ‚Reichstagsbrandverordnung‘: „Es ist kaum anzunehmen, dass ein deutsches Gericht den „neuen Staatswillen“, der den Täter nicht nach der Tat, sondern nach der G e s i n n u n g straft, anerkennen wird. Aus diesem Grunde wird sich auch, wie wir zuversichtlich hoffen, die neue Verordnung in der Praxis a n d e r s auswirken als es ihre Redakteure wünschen.“
Diese Verordnung war die rechtliche Grundlage für seine Verhaftung am 28. März und die Einlieferung ins Landgerichtsgefängnis Mainz.
Am 21. April wurde er entlassen, doch die vermeintliche Freiheit währte nicht lange. Bereits im Juni erfolgte seine erneute Inhaftierung und die anschließende Einlieferung in das ‚frühe‘ Konzentrationslager in Osthofen bei Worms.
Als Jude und überzeugter Sozialdemokrat entsprach er gleich in mehrfacher Hinsicht dem Feindbild des NS-Regimes. Hierdurch war er im KZ Osthofen besonderen Schikanen und Misshandlungen ausgesetzt, denen er sich durch eine Flucht entziehen wollte, die ihm am 3. Juli 1933 über die noch unbewachte Lagermauer gelang.
Zunächst schien es, als könne er seinen Verfolgern entkommen. Er versteckte sich bei einem befreundeten Schmied in der Pfalz, floh dann nach Saarbrücken und, als das Saargebiet dem Deutschen Reich angegliedert wurde, weiter nach Frankreich. Dort überlebte er im Untergrund, bis er am 11. August 1944 festgenommen und in das Konzentrationslager Groß-Rosen (Niederschlesien) deportiert wurde. Von dort wurde er am 10. Februar 1945 auf einen sogenannten ‚Todesmarsch’ nach Buchenwald (Thüringen) geschickt, Anfang März dann in das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof (Elsass), in das Außenlager Bisingen (Baden-Württemberg), und schließlich Anfang April nach Dachau (Bayern), wo er am 12. April eintraf und acht Tage später – also wenige Tage vor der Befreiung durch die Alliierten (US-Soldaten) – im Außenlager Allach verstarb.
Seine Mutter Karoline wurde 1876 in Obersitzkow geboren. 1902 heiratete sie Jakob Tschornicki, mit dem sie 1906 nach Mainz zog. Gemeinsam hatten sie neben Max, dem ältesten Sohn, noch zwei weitere Söhne, Willi und Julian. Willi Tschornicki, der 1906 geboren wurde, verstarb bereits 1913. Karoline lebte mit ihrer orthodox-jüdischen Familie in der Großen Bleiche in Mainz: Ein Freund Julian Tschornickis beschrieb diese Wohnung in einem Wiedergutmachungsverfahren im Bezirksamt für Wiedergutmachung in Mainz wie folgt: „Die Wohnung war großräumig und peinlich sauber. Ein Dienstmädchen wurde immer gehalten. Die Möbelausstattung war irgendwie gediegen – imponierend. (…) Die Küche war groß und mit Terrazzo–Fußboden ausgestattet. Eine oder zwei Wände waren mit blinkendem Kupfergeschirr bedeckt. Daneben hatte mich stets die Bibliothek beeindruckt. Meyers Konservationslexikon ist mir hier in Erinnerung und vor allem die wirklich große Anzahl dickleibiger Bücher in hebräischer Sprache.“ Nachdem die Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Jüdinnen*Juden durch das NS-Regime zugenommen hatten, musste Karoline Tschornicki zwangsweise aus dieser Wohnung in eine Wohnung in der Bilhildistraße umziehen. Ihr Mann Jakob war bereits 1936 offenbar eines natürlichen Todes gestorben. Ihrem jüngsten Sohn Julian gelang aus dem französischen Exil die Flucht nach Mexiko. Am 27. September 1942 wurde Karoline Tschornicki über Darmstadt nach Theresienstadt deportiert. Dort starb sie nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft.
Verfasser: Tillmann Krach
Redaktionelle Bearbeitung: HdE
Literaturhinweise:
Krach, Tillmann: Die Verfolgung und Ermordung der Mainzer Anwälte jüdischer Herkunft, in: Mainzer Geschichtsblätter. Mainz, Wiesbaden und Rheinhessen in der Zeit des Nationalsozialismus (2000), H. 12, S. 7–26.
Krach, Tillmann: Max Tschornicki, in: Rechtsanwaltskammer Koblenz (Hrsg.): „ … fühlte ich mich durchaus als Deutscher …“ – Das Schicksal der Mainzer Anwälte jüdischer Herkunft nach 1933, Köln 2007, S. 63–65.
Krach, Tillmann: Familie Tschornicki, in: Knigge-Tesche, Renate & Brüchert, Hedwig im Auftrag des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e. V. (Hrsg.): Der Neue Jüdische Friedhof in Mainz, Mainz 2013, S. 292–295.
Arenz-Morch, Angelika: Max Tschornicki – ein Mainzer Sozialist aus jüdischer Familie, in: Mainzer Geschichtsblätter. Lebensläufe in Zeiten der Diktatur 1933–1945 (2014), H. 15, S. 71–96.
Die Stolpersteine wurden am 17. April 2019 in der Großen Bleiche 38 verlegt.