Familie Schönberger



Portrait Johanna Schönbergers

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© Familie Schönberger


Doris Schönberger

  • Geboren am 8. März 1920 in Mainz
  • Flucht 1939 nach Frankreich, interniert in Drancy
  • 1942 deportiert und in Auschwitz am 30. September 1942 ermordet

Johanna Schönberger, geb. Dreyfuss

  • Geboren 1892
  • Flucht 1939 nach Frankreich, interniert Drancy
  • 1942 deportiert und in Auschwitz ermordet

Johanette Schönberger

  • Geboren 1873
  • Gedemütigt und entrechtet
  • Flucht in den Tod am 11. September 1942

Bertha Schönberger

  • Geboren 1870
  • Gedemütigt und entrechtet
  • Flucht in den Tod am 18. August 1942

Das Internierungslager Gurs

Das Camp de Gurs im französischen Ort Gurs war während des Zweiten Weltkriegs ein Internierungslager im Süden Frankreichs. Es lag nördlich der Pyrenäen in Grenznähe zu Spanien und war im Jahr 1939 ursprünglich als Internierungslager für politische Flüchtlinge errichtet worden, die auf der Flucht vor dem Spanischen Bürgerkrieg nach Frankreich kamen. Einige Zeit nach Errichtung des Lagers wurden dort auch deutsche Emigrant*innen interniert, wie beispielsweise die Jüdin Hannah Arendt, die, wie viele andere deutsche Jüdinnen*Juden auch, vor dem Nationalsozialismus nach Frankreich geflohen war. Ihre Erfahrungen im Lager Gurs, ihre gelungene Flucht sowie ihre Identifikation als ‚Flüchtling’ verarbeitete Ahrendt 1943 in ihrem Essay „We Refugees“, der in der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Wir Flüchtlinge“ erschienen ist. Gurs wurde nicht direkt von den Nationalsozialisten betrieben, sondern stand unter der Leitung des Vichy-Regimes, das dieses jedoch auf Betreiben der nationalsozialistischen Akteure hin unterhielt. Die Lebensumstände im Lager waren so katastrophal, dass viele Häftlinge nicht lange überleben konnten und im Lager starben. Diejenigen, die das Lager Gurs überlebten, wurden ab 1942 ins polnische Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden. So war das Lager, das im November 1943 durch das Vichy-Regime geschlossen wurde, für viele Menschen nur eine Zwischenstation auf dem Weg in weitere Konzentrations- und Vernichtungslager. Die aus Deutschland stammenden internierten Jüdinnen*Juden kamen zunächst hauptsächlich aus dem badischen und saarpfälzischen Kreis. Bereits am 22. Oktober 1940 waren etwa 6.500 Jüdinnen*Juden von dort nach Südfrankreich deportiert worden. Innerhalb kürzester Zeit mussten sie sich am frühen Morgen des 22. Oktobers 1940 fertig machen, Strom und Gas in ihren Wohnungen abstellen, die Wohnungsschlüssel bei den zuständigen Behörden abliefern und Verzichtserklärungen unterschreiben. Der NS-Staat sicherte sich so den Zugriff auf die Vermögenswerte und auch die Bevölkerung, bei der die Deportationen auf wenig Widerspruch stießen, profitierte durch zahlreiche Auktionen von den zwangsweise zurückgelassenen Wertgegenständen.


Auch die Mainzer Familie Schönberger war im Lager Gurs interniert. Doris Schönberger, ihre Mutter Johanna, ihre Tante Edith sowie ihr Onkel Eugen flohen 1939 nach Frankreich, wo sie zunächst im Untergrund leben konnten. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen wurden Doris und ihre Mutter in Gurs inhaftiert. Mutter und Tochter konnten den harten Winter 1940/41 im Lager überleben und schrieben während ihrer Zeit in Gurs regelmäßig Briefe an Egon, den Bruder und Sohn. Doris nahm aktiv am Lagerleben teil indem sie als Krankenpflegerin tätig war. Mutter und Tochter wurden im Sommer 1942, wie viele andere Lagerinsass*innen auch, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 1994 wurde auf dem ehemaligen Gelände des Lagers in Gurs eine nationale Gedenkstätte errichtet.

Doris Schönberger wurde am 8. März 1920 als Tochter des Weingroßhändlers Arthur Schönberger und seiner Frau Johanna in Mainz geboren. Sie war damals das jüngste Mitglied einer alt eingesessenen Weinhändler- und Sekthersteller-Familie. Ihr Großvater und ihre Großmutter sowie ihr Onkel Isaak Eugen hatten ein wirtschaftlich erfolgreiches, lange expandierendes Unternehmen aufgebaut, das zeitweise auch von ihrer Tante Bertha als Prokuristin mit geleitet wurde.

Nach der Grundschulzeit besuchte Doris von 1929 bis 1935 die Höhere Mädchenschule (das heutige Frauenlob-Gymnasium). Sie war eine der letzten jüdischen Schülerinnen, die die Schule verlassen mussten. In dieser Zeit wohnte die Familie in der Walpodenstraße 5. Ein paar Häuser nebendran in der Hausnummer 10 war die Sektkellerei der Familie untergebracht. Doris begann eine Ausbildung als Krankenschwester. Ein Studium war für jüdische Bürger*innen zu dieser Zeit schon nicht mehr möglich, ihr Bruder Egon studierte daher in der Schweiz Jura. (Auf einem Bild aus dieser Zeit ist eine modisch elegant gekleidete junge Frau zu sehen, die sehr lebensfroh wirkt.)

Seit der ‚Machtübernahme’ durch die Nationalsozialist*innen war die Familie fortgesetzten Repressalien ausgesetzt. In der Reichspogromnacht 1938 schließlich wurde die Privatwohnung der Familie Schönberger in der Walpodenstraße verwüstet und geplündert und der Besitz der Familie ‚arisiert’. Das bedeutete, dass die Schönbergers ihren Besitz zwangsweise und weit unter Wert verkaufen mussten. Langfristiges Ziel war es, alle Jüdinnen*Juden zu enteignen.

Ab diesem Zeitpunkt wurde in der Familie Schönberger mit Vehemenz die Flucht geplant. Da Doris‘ Vater drei Jahre zuvor verstorben war, floh Doris mit ihrer Mutter, ihrem Onkel Eugen und ihrer Tante Edith 1939 ins vermeintlich sichere Frankreich, wo Doris und Johanna aber nach dem Einmarsch deutscher Truppen aufgegriffen und im Lager Gurs inhaftiert wurden.

Wenn man den Sätzen aus Doris Schönbergers Brief aus dieser Zeit Glauben schenkt und die Aussagen eines Zeugen liest, haben Mutter und Tochter sich sehr gut verstanden und versucht, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Es gelang ihnen den langen und harten Winter 1940/41 zu überleben (800 Häftlinge starben). Im März 1941 feierte Doris ihren 21. Geburtstag im Lager. Sie schrieb, dass für die augenblickliche Lage ihr Geburtstag (groß) gefeiert worden sei und versicherte, dass ihr Gesundheitszustand und der ihrer Mutter zufriedenstellend sei. Darüber hinaus sagte Doris, sie versuche „jeden Tag irgendetwas lustig zu finden“, eine Überlebensstrategie in einem Lager, in dem man vom Tod bedroht ist. Doris arbeitete im Lager als Krankenpflegerin auf der Krankenstation und war sich nach Zeugenaussagen des Ernstes ihrer Lage bewusst. Mehrere Briefe schreiben Mutter und Tochter an den Bruder und Sohn Egon nach Neuseeland. Im Sommer 1942 brach der Kontakt ab. Erst fünf Jahre später erfuhr Egon Schönberger den Grund: Im August wurden Doris und Johanna in das Sammellager Drancy gebracht und von da aus zwei Monate später nach Auschwitz deportiert. Dort wurden beide ermordet. Doris war 22 Jahre alt.

Bertha Schönberger, Doris‘ Tante und älteste Schwester der Familie, war jahrelang in der Firmenleitung tätig. 1938 musste sie von allen Posten zurücktreten und wurde somit aus der Firmenleitung entfernt. Sie erlebte die wachsende Ausgrenzung, Demütigung und Entrechtung. So musste sie mit ihrer Schwester Johannette (Jenny) Schönberger in ein Gettohaus, ein sogenanntes ‚Judenhaus’ ziehen, wo sie zusammen mit Berthel Bamberger auf engstem Raum lebten. Bertha Schönberger nahm sich am 18. August 1942 das Leben. Auch ihre Schwester Johannette nahm sich das Leben, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Name auf der Deportationsliste des nächsten Transports in ein Konzentrationslager stand. Sie beging am 11. September 1942 Suizid.


Foto: HdE

Recherche/Quelle: Markus Würz

Redaktionelle Bearbeitung: HdE



Literaturhinweise:

Arendt, Hannah: Wir Flüchtlinge. Mit einem Essay von Thomas Meyer, Stuttgart 2016.

Borgstedt, Angela: Gurs. Die Deportation der badischen Juden am 22. Oktober 1940, in: Weber, Reinhold/ Steinbach, Peter/ Wehling, Hans-Georg (Hrsg.): Baden-württembergische Erinnerungsorte, Stuttgart 2012, S. 472–481.

Eggers, Christian: Gurs – Und die Anderen. Gedanken zur Erforschung der französischen Internierungslager 1939–1945, in: Francia Part 3 19./20. Jahrhundert 21/3 (1994), S. 171 – 179.

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Die Stolpersteine für die Familie Schönberger wurden am 3. Februar 2015 in der Walpodenstraße 5 verlegt.

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