Familie Cahn


Stolperstein von Hugo Cahn

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Hugo Cahn

  • geboren 1882
  • 1938 Flucht nach Holland
  • interniert im Lager Westerbork; nach Ausschwitz deportiert und am 19. November 1943 ermordet

Louisa Cahn, geb. Birnbaum

  • geboren 1892
  • 1938 Flucht nach Holland
  • interniert im Lager Westerbork; nach Ausschwitz deportiert und am 19. November 1943 ermordet

Netti Cahn

  • geboren 1922
  • 1938 Flucht nach Holland
  • interniert im Lager Westerbork; nach Ausschwitz deportiert und am 19. August 1942 ermordet

Mirjam Cahn

  • geboren 1926
  • 1938 Flucht nach Holland
  • interniert im Lager Westerbork; nach Ausschwitz deportiert und am 30. September 1942 ermordet

Lager Westerbork

Das Lager Westerbork war während des Zweiten Weltkriegs ein sogenanntes ‚Durchgangslager’ oder auch ‚KZ-Sammellager’ in der Provinz Drenthe im Nordosten der Niederlande. Hier wurden Jüdinnen*Juden, die entweder aus den Niederlanden stammten oder aus dem Deutschen Reich sowie Österreich in die Niederlande geflohen waren, interniert. Sie wurden anschließend in Konzentrations- oder Vernichtungslager deportiert. Bereits vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande im Frühjahr 1940 wurden in dem Lager Jüdinnen*Juden inhaftiert, die sich als ‚Flüchtlinge’ vor dem Nationalsozialismus Hilfe von Seiten der Niederlande erhofft hatten. Bis zum Sommer 1942 befand sich das ‚Zentrale Flüchtlingslager Westerbork’ unter niederländischer Verwaltung, ehe es am 1. Juli 1942 als ‚polizeiliches Judendurchgangslager Kamp Westerbork’ der deutschen Verwaltung unterstellt wurde. Mitte Juli 1942 begannen die Deportationen der Inhaftierten in die Konzentrationslager- und Vernichtungslager Auschwitz, Sobibór, Bergen-Belsen und Theresienstadt. Neben Jüdinnen*Juden wurden auch Sinti*zze und Romn*ja sowie politische Oppositionelle in Westerbork zur anschließenden Deportation inhaftiert. Im Zeitraum von 1942-1944 wurden 107.000 Menschen aus Westerbork in andere Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, wovon nur etwa 5.000 überleben konnten. Im April 1945 wurde das Lager Westerbork von der kanadischen Armee befreit. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch etwa 900 Jüdinnen*Juden in dem Lager. Auch die Mainzer Familie Cahn, bestehend aus Vater Hugo, Mutter Louisa sowie den Töchtern Netti und Mirjam, war in Westerbork inhaftiert. Zunächst war der Familie Cahn die Flucht aus dem Deutschen Reich in die Niederlande nach Amsterdam geglückt. Jedoch wurden bereits im Frühjahr und Sommer 1942 die beiden Töchter der Familie Cahn, Netti und Mirjam, in Westerbork interniert und mit dem Transport am 15. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie bald nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Im September 1942 erfolgte dann die Internierung von Hugo und Louisa, die am 16. November 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Anne Frank, deren Tagebuch durch ihren Vater nach dem Krieg veröffentlicht wurde und weltbekannt ist, war ebenfalls im Lager Westerbork interniert. Heute befindet sich anstelle des ehemaligen Lagers Westerbork die Gedenkstätte ‚Herinneringscentrum Kamp Westerbork’. In der Gedenkstätte sind insbesondere die Namen der Opfer sehr präsent und werden gemäß dem Motto „Ein Mensch ist vergessen, wenn sein Name vergessen ist“ bewahrt.


Hugo Cahn, 1882 geboren, heiratete im Jahr 1914 die im Jahr 1862 geborene und aus Amsterdam stammende Louisa Birnbaum. Das Paar hatte fünf Kinder: Leonie Regine, Sigmund Ernst, Gerda, Netti und Mirjam, geboren zwischen 1915 und 1926. Die Familie Cahn gehörte zur Israelitischen Religionsgesellschaft, der orthodoxen Gruppierung unter dem Dach der Mainzer jüdischen Gemeinde. Hugo Cahn gehörte dem Gemeindevorstand an. Die Kinder besuchten die Bondi-Schule, so benannt nach dem orthodoxen Rabbiner Dr. Jonas Markus Bondi, der die Schule lange leitete. Leonie, Gerda und Netti wechselten danach in die Höhere Mädchenschule Mainz, heute Frauenlob-Gymnasium.

Hugo Cahn war im familieninternen Unternehmen tätig. Das von seinem Großvater Herz Cahn im Jahr 1869 in Mainz gegründete Geschäft für Weinutensilien hatte seinen Schwerpunkt zu Beginn der 1890er Jahre auf den Vertrieb von Papier- und Druckerzeugnissen wie etwa Kartonverpackungen für Schuhe und Kleider sowie Wandkalender und Reklameartikel verlagert. Zum Geschäft gehörten auch eine Druckerei und eine Buchbindewerkstatt. 1901 war die inzwischen stark wachsende Firma an den Bonifaziusplatz 3 umgezogen. Im Hof wurde ein vierstöckiges Haus für den Geschäftsbetrieb errichtet, im Vorderhaus (heute ein Nachkriegsneubau) wohnte die Familie. Die beiden Enkel Herz Cahns, Hugo und Jacob, stiegen schließlich in das Geschäft mit ein. Hugo Cahn lebte mit Ehefrau und Kindern im dritten Stock des Gebäudes am Bonifaziusplatz 3.

Das Geschäft lief gut. Durch den Boykott jüdischer Geschäfte aber, der ab 1933 zunehmend stärker wurde, verschlechterte sich der wirtschaftliche Umsatz der Firma sodass diese schließlich verkauft werden musste. In eingeschränkter Form konnten die Brüder Hugo und Jacob sie noch bis Februar 1938 weiterführen, bis Hugo Cahn mit seiner Familie nach Amsterdam zog, die Heimatstadt seiner Frau. Für die Abwicklung ließ sich der NS-Staat gut bezahlen, bis Jacob im Mai 1939 nach Palästina auswandern konnte.

Hugo Cahn und seine Familie hatten in Amsterdam auf begrenzte Zeit eine sichere Bleibe gefunden. Sie wohnten dort in der Sarphatistraat 78 – benannt nach dem Arzt Samuel Sarphati. Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in die Niederlande im Mai 1940 begann diese Sicherheit zu bröckeln. Auch die Straße wurde im August 1942 in Muiderschans umbenannt, weil die deutschen Besatzer keine nach Jüdinnen*Juden benannten Straßennamen duldeten.

Westerbork-Registrierkarte von Hugo und Louisa Cahn

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Quelle: Arolsen Archives

Im September 1942 wurden Hugo und Louisa Cahn im Lager Westerbork interniert. Dort stellten sie einen Antrag auf Auswanderung nach Palästina, wohin ihr Sohn Sigmund Ernst über zwei Auswanderungseinrichtungen in Luxemburg und Belgien hatte gelangen können. Doch der Antrag der Eheleute Cahn wurde abgelehnt. Mit dem Transport am 16. November 1943 wurden sie nach Auschwitz deportiert und unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

Die Töchter Netti und Mirjam waren bereits vor ihren Eltern deportiert worden. Erst kurz vor der Deportation waren sie nach Westerbork verbracht und registriert worden. Unmittelbar danach wurden sie mit dem ersten dort abgehenden Transport am 15. Juli 1942 aus den Niederlanden nach Polen verbracht und wurden bald darauf in Auschwitz ermordet.

Sigmund Ernst war die Auswanderung nach Palästina gelungen. Die Tochter Leonie Regine, als Küchenleiterin für den Judenrat in Westerbork tätig, war zunächst vom Transport freigestellt. Sie entschloss sich, unterzutauchen und konnte so den Krieg überleben. 1948 wanderte sie nach Israel aus. Die Tochter Gerda, die 1942 Frederik Jacob Hirsch geheiratet hatte, arbeitete als Krankenschwester im Lagerkrankenhaus. Im Juli 1944 kam sie mit einem Transport nach Bergen-Belsen, konnte aber überleben. Mit Mann und Sohn ging sie 1950 ebenfalls nach Israel.


Foto: HdE

Text: Renate Knigge-Tesche

Redaktionelle Bearbeitung: HdE



Literaturhinweise:

Andreas Lehnardt: Familie Herz Cahn, in: Renate Knigge-Tesche, Hedwig Brüchert (Hrsg.): Der Neue Jüdische Friedhof in Mainz. Biographische Skizzen zu Familien und Personen, die hier ihre Ruhestätte haben (Sonderheft der Mainzer Geschichtsblätter), Mainz 2013, S. 53–59.

Arolsen Archives

Jacob Cahn: „Für die meisten war die Auswanderung die Hauptsorge …“, in: Christine Hartwig-Thürmer (Bearb.): „Als die letzten Hoffnungen verbrannten …“.9./10. November 1938. Mainzer Juden zwischen Integration und Vernichtung. Dokumentation zu einem Projekt der Stadt Mainz in Zusammenarbeit mit dem Verein für Sozialgeschichte aus Anlass des 50. Jahrestages der Novemberpogrome 1938. Hrsg.: Anton M. Keim. Mainz 1991, S. 157–161; Schulhinweise Reinhard Frenzel, Mainz vom 8.2.2020; Informationen Herinneringscentrum Kamp Westerbork vom 4.1.2021; Sammlung Joods Monument, Niederlande.




Foto: HdE

Die Stolpersteine wurden am 5. Juli 2021 am Bonifaziusplatz 3 verlegt.

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