Cäsar und Emilie Ganz


Emilie Ganz

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Cäsar Ganz

  • geboren am 14. Mai 1863 in Mainz
  • Flucht 1938 nach Luxemburg; Flucht aus Luxemburg 1940 in die Schweiz; gestorben 1947

Emilie Ganz, geb. Weiss

  • geboren in Mainz
  • Flucht 1938 nach Luxemburg; Flucht aus Luxemburg 1940 in die Schweiz; gestorben 1960 in Haifa

‚Arisierung’

Die ‚Arisierung’ erfolgte im Nationalsozialismus von 1933 bis 1945. Unter ihr verstand man die zwangsweise erfolgte Enteignung von Jüdinnen*Juden in der Wirtschaft sowie im Privaten. Aus der Wirtschaft wurden Jüdinnen*Juden verdrängt, indem sie beispielsweise ihre Unternehmen verkaufen mussten. Im privaten Bereich wurden Jüdinnen*Juden ihrer Wohnungen beraubt. Die ‚Arisierung’ der jüdischen Bevölkerung fußte auf den sogenannten ‚Nürnberger Gesetzen’. Diese wurden im September 1935 erlassen und schlossen Jüdinnen*Juden aus dem öffentlichen Leben aus. Jüdische Menschen wurden dadurch zu Staatsbürger*innen zweiter Klasse. So waren beispielsweise Beziehungen zwischen Jüdinnen*Juden mit nicht-jüdischen Menschen aufgrund des „Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ verboten. Die ‚Nürnberger Gesetze’ nahmen so – zusätzlich zum Einfluss auf die Wirtschaft – auch Einfluss auf das Privatleben der jüdischen Bevölkerung. Als eine Maßnahme der ‚Arisierung’ nutzten die Nationalsozialisten den Boykott. Dieser erfolgte am 1. April 1933 im gesamten Deutschen Reich gegen jüdische Geschäfte und Warenhäuser, aber auch gegen Arztpraxen oder Rechtsanwaltskanzleien. Der erste Boykott gegen jüdische Geschäfte und Warenhäuser in Mainz fand bereits am 9. März 1933 statt. SA-Einheiten trieben den Boykott auch in Mainz durch Schilder mit Aufschriften wie beispielsweise „Achtung, Jude! Betreten verboten!“ und „Deutsche, kauft nur in deutschen Geschäften“ voran. Diese Schilder wurden an Schaufensterscheiben und Türen der Geschäfte, Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien geklebt. Viele jüdische Unternehmer*innen erlebten durch die Boykotte und Diffamierungen einen so starken wirtschaftlichen Schaden, dass sie ihre Geschäfte aufgeben mussten. Die noch bestehenden Unternehmen wurden dazu gedrängt, an ‚Arier‘ zu verkaufen. Zu Beginn konnten sie den*die Käufer*in sowie den Kaufpreis noch selbst bestimmen. Dies änderte sich 1938. Die nationalsozialistischen Behörden konnten nun entscheiden, an wen und zu welchem Preis verkauft wurde. Die ehemaligen jüdischen Besitzer*innen der Unternehmen konnten über die Verkaufssumme nicht frei verfügen. Dies erschwerte insbesondere geplante Auswanderungen. Das Geld wurde auf Sperrkonten eingefroren und überdies verloren viele Jüdinnen*Juden durch immer neue Sondersteuern viel Geld. Die ‚Arisierung’ traf auch den aus Mainz kommenden Unternehmer Cäsar Ganz, der 1863 in Mainz geboren worden war. Ganz war, wie auch sein Vater, als Metzger tätig und führte bis zum Jahr 1917 eine eigene Metzgerei in der Rosengasse 5 in Mainz. Im Jahr 1918 wurde Ganz Geschäftsführer des Rheinischen Carbid-Kontors und war in den Jahren zwischen 1931 und 1936 als Carbidgroßhändler in der Wirtschaft tätig. 1938 wurde Ganz aufgrund der ‚Arisierung’ der Nationalsozialisten aus seinem Job verdrängt. Er konnte nicht mehr länger als Carbidgroßhändler tätig sein und somit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie garantieren. Ganz war im Adressbuch der Firma nun lediglich noch als Geschäftsführer aufgeführt.


Cäsar Ganz wurde am 14. Mai 1863 als fünftes von 10 Kindern des Privatmannes und Metzgers Moritz Ganz und seiner aus Weisenau stammenden Frau Karoline, geb. Diehl, in Mainz geboren. Zwei seiner Brüder starben bereits im Kleinkindalter. Viele Jahre wohnte die große Familie im selben Haus „Auf der Rose“, die später Rosengasse und dann Adolf-Kolping Straße genannt wurde.

Cäsar erlernte wie sein Vater den Metzgerberuf und hatte bis 1917 eine eigene Metzgerei in der Rosengasse 5. 1918 wechselte er als Geschäftsführer zum Rheinischen Carbid-Kontor. Von 1931 bis 1936 firmierte er als Carbidgroßhändler, bis er 1938 – als Folge der gezielten ‚Ausschaltung‘ jüdischer Geschäftsleute – nur noch als Geschäftsführer im Adressbuch zu finden war.

1893 heiratete er in erster Ehe Paulina Brück, geb. am 4. Mai 1871 in Alsenz, mit der er vier Kinder hatte. 1894 kam Wilhelm Josef zur Welt, 1895 der zweite Sohn Maximilian Hugo, der bereits im Alter von 15 Jahren verstarb, 1897 dann die einzige Tochter Rosa Helena und zuletzt Friedrich im Jahr 1899. Als Paulina 1905 im Odenwälder Luftkurort Lindenfels vermutlich an einer Lungenkrankheit starb, waren die gemeinsamen Kinder zwischen sechs und elf Jahre alt. Bereits ein Jahr später heiratete Cäsar die 24-jährige Hechtsheimerin Emilie Weiss, das dritte von 14 Kindern des Hechtsheimer Metzgermeisters Leopold Weiss und seiner Frau Babette, geb. Neuberger. Am 30. März 1908 wurde die gemeinsame Tochter Karoline Babette Alice geboren.

Cäsar und Emilie wohnten mit ihren Kindern weiterhin in der Rosengasse 5, gleich neben ihrer Metzgerei im Parterre. 1918 – zeitgleich mit Cäsars Wechsel zum Rheinischen Carbidkontor – erfolgte der Umzug in die Hindenburgstraße 24. 1921 zog die Familie dann in den 3. Stock der Rheinallee 8 um.

Ihre jüngste Tochter Alice, die erst die Höhere Mädchenschule und dann die Höhere Handelsschule besucht hatte, arbeitete zunächst im Büro ihres Vaters. Anfang 1934 wanderte sie jedoch nach Palästina aus und folgte ihrem zukünftigen Mann, Max Blättner aus Wiesbaden, der sich bereits 1933 als Apotheker in Haifa niedergelassen hatte. Sie heirateten im Februar 1934 und bekamen 1935 ihre Tochter Ruth; 1942 dann ihren Sohn Raphael.

Auch die drei Kinder aus erster Ehe hatten nach der ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten Deutschland verlassen und waren ins Ausland geflohen. Wilhelm lebte in New York und war Inhaber einer Filmfirma. Rosa war mit ihrem Mann, Dr. Sigfried Fritz Haas, einem Kustos aus Frankfurt, ebenfalls nach Amerika gegangen und arbeitete als Kuratorin eines Museums in Chicago. Ihr jüngerer Bruder Friedrich hatte sich als Kaufmann in Marseille angesiedelt, bevor er nach der Besetzung Frankreichs mit seiner Frau Netty unter schwierigsten Bedingungen im Untergrund leben musste.

Im August 1938, nachdem bereits alle vier Kinder Deutschland verlassen und die Nationalsozialisten das Leben von Cäsar und Emilie Ganz unmöglich gemacht hatten, gelang es dem Ehepaar – dank der Unterstützung von Cäsars jüngstem Bruder Alfred – nach Luxemburg zu fliehen. Sie bewohnten dort eine Etage im Haus Place Philippe 17 in Luxemburg-Stadt. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 wurden beide bei der damaligen ‚Judenzählung‘ erfasst, flohen aber kurz darauf zu Alfred in die Schweiz und lebten dort in Luzern bis zu Cäsars Tod im Jahr 1947. Da Emilie 1960 in Haifa verstarb, ist davon auszugehen, dass sie nach dem Tod ihres Ehemanns zu ihrer Tochter Alice zog. Alice starb im Jahr 2000 mit 90 Jahren ebenfalls in Haifa.


Foto: HdE

Text: Christine Schwarz

Redaktionelle Bearbeitung: HdE



Literaturhinweise:

Berkessel, Hans/ Brüchert, Hedwig/ Dobras, Wolfgang/ Erbar, Ralph/ Teske, Frank (Hrsg.): Leuchte des Exils. Zeugnisse jüdischen Lebens in Mainz und Bingen, Mainz 2016 (Beiträge zur Geschichte der Juden in Rheinland-Pfalz, Bd. 1).

Brüchert, Hedwig: Magenza. Bd. 3: Rückkehr auf Zeit, Teil II. Zwei Begegnungswochen Mainzer Juden 1998 und 2001. Eine Dokumentation, Mainz 2007.

Fritsche, Christiane (Hrsg.): „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in deutschen Städten, Köln u. a. 2014.

Keim, Anton Maria (Hrsg.): Als die letzten Hoffnungen verbrannten. 9.–10. November 1938. Mainzer Juden zwischen Integration und Vernichtung, Mainz 1988.

Kuller, Christiane: Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, München 2013 (= Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus, Bd. 1).

Lillteicher, Jürgen: Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Studie über Verfolgungserfahrung, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitspolitik 1945–1971. Diss. Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau Wintersemester 2002/2003.

Meinl, Susanne/ Zwilling, Jutta: Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt am Main u. a. 2004 (= Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 10).

Stadtarchiv (StA) Mainz: Heiratsregister Mainz 1856 Nr. 189 (Moritz und Karoline Ganz); Geburtsregister
Mainz 1863 Nr. 639; auch Cäsars sieben Brüder und zwei Schwestern wurden zwischen 1857 und 1874 in Mainz geboren; zur Adresse siehe die Angaben in den Geburtsregistereinträgen; Heiratsregister Mainz 1893 Bd. 1 Nr. 225; Adressbücher der Stadt Mainz; Ancestry: Sterberegister Lindenfels 1905 Nr. 19; weitere Angaben zu den Kindern aus erster Ehe. StA Mainz: Geburtsregister Hechtsheim 1881 Nr. 78; Heiratsregister Hechtsheim 1906 Nr. 25. Archives Nationales Luxembourg (ANLux). Police des Étrangers, Aktennr. 250394 (Auskunft Dr. Marc Schoentgen, Luxemburg).



Foto: HdE

Die Stolpersteine für Cäsar und Emilie Ganz wurden am 5. Juli 2021 in der Rheinallee 8 verlegt.

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