Siegfried Rosenbusch und Familie


Therese Rosenbusch

  • 1867 geboren
  • 1942 nach Theresienstadt deportiert
  • ermordet am 21. Dezember 1942

Siegfried Rosenbusch

  • am 23. April 1904 in Mainz geboren
  • 1942 nach Piaski deportiert
  • ermordet in Piaski

Albert Rosenbusch

  • am 28. November 1905 in Mainz geboren
  • 1942 nach Piaski deportiert
  • ermordet in Pisaki

Erna Rosenbusch, geb. Fröhlich

  • am 12. Februar 1915 geboren
  • 1942 nach Piaski deportiert
  • ermordet in Piaski

Siegfried Rosenbusch wurde am 23. April 1904 in Mainz geboren. Zu diesem Zeitpunkt war seine Mutter Therese ledig, in der Geburtsurkunde ist kein Vater vermerkt. Bei Siegfrieds Geburt war Theresa Rosenbusch 37 Jahre alt. 19 Monate später folgte Bruder Albert (28. November 1905) – auch hier ist der Vater unbekannt. Die beiden Söhne wuchsen bei ihrer Mutter auf.

Siegfried und Albert Rosenbsuch mit ihrer Mutter Therese (© Mainzer Carneval Club)

Therese stammte aus dem kleinen bayerischen Ort Schwebheim, das südlich von Schweinfurt liegt. Hier war die Familie Rosenbusch seit Generationen verwurzelt. Was Therese Rosenbusch aus ihrer bayerischen Heimat nach Mainz zog, ist unklar.  In den ersten Jahren wechselten die Wohnorte der Familie häufiger. 1907 war die Heimat die Bauerngasse 19, von 1908 bis 1915 die Löhrstraße 15 und im Anschluss bis 1929 die Emmeransstraße 10. Diese Adresse liegt unweit des Café Neuf (ab 1915 Apostelhof) – dem Gründungsort des heutigen 1. FSV Mainz 05. Womöglich kreuzten sich dort später die Wege von Siegfried mit den Vereinsgründern oder Mitgliedern des jungen Vereins, da der Apostelhof noch lange Zeit Treffpunkt für Vereinsaktivitäten war.

Es war für die Familie vermutlich keine einfache Zeit; die wechselnden Berufe und Wohnorte der Mutter, die dem Adressbuch zu entnehmen sind, zeugen von einem eher unbeständigen Leben.

Siegfried Rosenbusch erlernte den Beruf des Küfers, ein handwerklicher Beruf, bei dem Gefäße, meist Fässer hergestellt werden. Später arbeitete er als Kellermeister bei der Sektkellerei Schönberger, die ihren Sitz in der Walpodenstraße 10 hatte und von Eugen Schönberger geführt wurde, der ebenfalls Jude war. „Schönberger Cabinet“ hatte wie auch die Sektkellerei Kupferberg einige Jahre einen herausragenden Ruf und wurde in den besten deutschen Häusern ausgeschenkt. Die Sektkellerei wurde nach dem 9. November 1938 durch die Nationalsozialisten enteignet. Der Besitzer Eugen Schönberger emigrierte mit seiner Frau nach Frankreich und später weiter in die USA. Leider fanden sich keine weiteren Verbindungen zwischen Siegfried Rosenbusch und der Sektkellerei Schönberger.

Albert Rosenbusch lernte Erna Fröhlich aus dem pfälzischen Gauersheim kennen. Die Familie Fröhlich war in der kleinen Gemeinde sehr verwurzelt. Wie sich beide kennenlernten ist unklar, doch später heirateten sie. Wie das Leben der beiden weiter verlief und wie sie ihr Leben konkret gestalteten ist nicht klar.

Siegfried Rosenbusch blieb den vorhandenen Quellen zufolge hingegen ohne Partnerin. Man weiß nicht viel darüber, wie er sein Leben gestaltete und wie es konkret verlief. Es konnten jedoch einige Anhaltspunkte dafür gefunden werden, dass der Sport und insbesondere der 1. Mainzer Fußball und Sportverein 05 e. V. einen sehr großen Platz im Leben von Siegfried Rosenbusch eingenommen hat und er dem Verein sehr verbunden war.

Siegfried wurde von den Menschen im Verein liebevoll mit dem Spitznamen „Sissi“ angesprochen und engagierte sich in vielen Bereichen des Vereinslebens. Er spielte hauptsächlich in der dritten und vierten Mannschaft, deren Trainer er gleichzeitig war. In der Saison 1926/27 musste er aufgrund von Spielermangel sogar hin und wieder in der zweiten Mannschaft aushelfen, die in diesem Jahr die Gaumeisterschaft gewinnen konnte. Im Zuge der stattfindenden Meisterfeier ist eine schöne Anekdote über Siegfried Rosenbusch entstanden: „Die liebenswürdig gebotenen kulinarischen Genüsse konnten selbst bei unserem verwöhnten „Sissi“ ein behaglich zufriedenes Grinsen hervorzaubern…“
In der Saison 1929/30 wurde die dritte Mannschaft unter der Leitung von Siegfried Rosenbusch Meister. In der Vereinszeitung aus dem Juni 1930 wird berichtet: „Die 3. Mannschaft ist die einzige unserer aktiven Mannschaften, welche uns eine Meisterschaft bescherte. Sissi Rosenbusch hat es meisterhaft verstanden, seine 3. Mannschaft von Sieg zu Sieg zu führen.“ „Sissi“ stand dabei auch wieder als Außenstürmer in mehreren Partien auf dem Feld.

Später war er wieder hauptsächlich in der 4. Mannschaft aktiv, deren Spielführer und womöglich sogar wieder Trainer er darstellte. Im Mainzer Anzeiger vom 13. März 1931 wird das Team nämlich liebevoll als „Sissis Mannschaft“ bezeichnet. In derselben Spielzeit wurde er mit dieser Mannschaft Südrheingaumeister in der Klasse B, wo die Mannschaft allerdings außer Konkurrenz teilnahm. Am Ende seiner sportlichen Karriere fand er sich außerdem mehrfach in den Aufstellungen der Alten Herren wieder. Insgesamt können 70 Einsätze in den verschiedensten Mannschaften belegt werden. Wahrscheinlich waren es aber weitaus mehr, da nicht von jedem absolvierten Spiel Spielberichte im Mainzer Anzeiger zu finden sind.

Auch abseits der sportlichen Auftritte finden sich noch zahlreiche Belege dafür, wie sehr er im Vereinsleben des 1. Mainzer Fußball und Sportverein 05 e. V. verwurzelt war, was seine außergewöhnliche Stellung unterstreicht:
Ende März 1927 stand Siegfried Rosenbusch bei einer Abschiedsveranstaltung für den scheidenden Handballer Georg Einwächter auf der Bühne. Von Anhängern und Mitspielern wurde ein buntes Rahmenprogramm organisiert, um den Leistungsträger zu würdigen. Sissi, schon zu dieser Zeit als „Stimmungskanone“ im Verein bekannt, führte einen Vortrag auf und sprach später die Dankesworte der Fußballabteilung auf Georg Einwächter.
Im Dezember 1929 fand, wie jährlich üblich, eine extra organisierte Weihnachtsfeier für die aktiven Jugendlichen im Verein statt. Dabei wurden nicht nur kleine Geschenke verteilt, sondern auch ein Bühnenprogramm geboten, das für ein paar unbeschwerte Stunden im Kreise der Abteilung sorgen sollte. Siegfried Rosenbusch war Teil eines Theaterstücks und unterhielt auf diese Art und Weise die jungen Sportler. Auch drei Jahre später war er erneut Teil des Programms. Im Mainzer Anzeiger aus dem Jahr 1932 heißt es: „Das Erscheinen unseres lieben ‚Sissi‘ löste bei den Anwesenden starken Beifall aus und er sorgte für äußerst hohe Stimmung.“

Anlässlich des 25. Vereinsjubiläums 1930 bekam Siegfried Rosenbusch bei einer Veranstaltung im Casino Hof zum Gutenberg die silberne Ehrennadel des Vereins verliehen. Im Mainzer Anzeiger wurde über die Verleihung berichtet, die die Wertschätzung für die Geehrten gut unterstreicht: „Die Verkündung der Namen, die der Vorsitzende mit würdigenden Erläuterungen vornahm, löste immer stärker werdenden Jubel aus.“ Siegfried Rosenbusch war geschätzt innerhalb des Vereins und seiner Mannschaft und legte großen Wert auf das Gemeinschaftsgefühl und die gute Stimmung untereinander. In der Festschrift zum 25-jährigen Vereinsjubiläum wurde er wie folgt charakterisiert: „[…] Sissi Rosenbusch, unsere unverwüstliche Stimmungskanone, der sich jederzeit als treuer Kämpfer am rechten Platz erwies als Schirmherr der ‚dritten‘ Garnitur [Anmerkung der Redaktion: Damit ist die dritte Mannschaft gemeint]“.

In jener Festschrift aus dem Jahr 1930 ist ein Bild von ihm im Kreise seiner Mannschaft abgebildet, das ihn lächelnd und gut gelaunt zeigt.

Mannschaftsfoto der dritten Mannschaft; in der Mitte Siegfried Rosenbusch (© privat)

Im Januar 1932 feierte der Verein die Meisterschaft in der Bezirksliga Hessen mit einer großen Veranstaltung im Saal der Stadt Mainz. Neben einem offiziellen Programm mit Reden, Ehrungen und Danksagungen trug auch Sissi Rosenbusch mit einem lustigen Vortrag zum Gelingen des Abends bei.

Eine weitere kleine Anekdote, die viel Interpretationsspielraum lässt, stammt von einem Osterausflug der Reservemannschaft [Anmerkung der Redaktion: Die Reservemannschaft war so etwas wie die zweite Mannschaft des Vereins]) nach Erbach im Taunus, wie im Mainzer Anzeiger am 20. April 1933 berichtet wurde: „Nach dem Spiel fand man sich im Kreise der Erbacher Sportfreunde recht gemütlich zusammen, bei welcher Gelegenheit Sportfreund Rosenbusch den Vogel abschoß. Erst in vorgerückter Stunde suchte mancher sein Quartier auf.“ Um welchen „Vogel“ es sich handelte, gibt der Artikel leider nicht preis. Ebenfalls nicht, in welcher Funktion Siegfried dem Ausflug beiwohnte.

Aber auch in ganz offiziell gewählter Funktion findet man Siegfried Rosenbusch. So wurde er im Februar 1931 in den Vorstand des Vereins gewählt. Das Amt passte dabei wie die Faust aufs Auge: Er wurde von der Versammlung nämlich als Vorsitzender des Vergnügungsausschusses gewählt. Ein Jahr später wurde er in diesem Amt bestätigt. Seine Amtszeit wird dadurch bis ins Jahr 1933 gereicht haben. Eine weitere Kandidatur wird es vermutlich nicht gegeben haben.

Neben seiner Leidenschaft für den Fußballsport war Siegfried Rosenbusch auch noch in einem weiteren Aushängeschild der Stadt Mainz sehr engagiert: Er war leidenschaftlicher Fastnachter und brachte sich dort aktiv ein. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Fastnacht bis in das Jahr 1925 gänzlich durch die französische Besatzungsmacht verboten. Erst im Jahr 1926 kam diese wieder in die Gänge und organisierte sich neu.
Einer der größten Mainzer Fastnachtsvereine, der Mainzer Carneval Club, kämpfte in dieser Zeit jedoch um seine Existenz. Viele Aktive kehrten aus dem Ersten Weltkrieg nicht zurück und den Verein packte, auch aufgrund des Alters der Verbliebenen, eine um sich greifende Inaktivität. Einige der wenigen Aktiven schlossen sich anderen Kooperationen, wie dem Mainzer Carneval Verein, an, ein paar junge Wilde gründeten jedoch das freie Fastnachtskollektiv der Geselligen Vereinigung Ukra Mainz (Betriebsgemeinschaft des städtischen Umformerwerkes und des Kraftwerkes), die 1933 wieder im MCC aufging. Es liegt nahe, dass neben dem späteren Aushängeschild Jakob Wucher auch Siegfried Rosenbusch sehr engagiert war. Denn in den nächsten Jahren stand Siegfried mehrheitlich für diesen Fastnachtsverein auf der Bühne. Insgesamt können im Zeitraum von 1926 bis 1933 Auftritte bei 17 verschiedenen Veranstaltungen nachgewiesen werden. Und dabei zeigte Siegfried Rosenbusch eine ganze Bandbreite an Fähigkeiten. Er spielte in Theaterstücken mit, die bei Sitzungen oftmals als Opener der Veranstaltungen dienten, er schlüpfte für Vorträge und Zwiegespräche in verschiedene Rollen und besonders muss seine Stimme gewesen sein, die er bei mehrstrophigen, witzig- zweideutigen Liedern unter Beweis stellte. Teilweise stand er in einer Sitzung gleich mehrmals in den unterschiedlichsten Rollen auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Im Laufe der Jahre stand er dabei mit einigen Menschen auf der Bühne. So war einer seiner Partner in den Theaterstücken sein Bruder Albert und bei Vorträgen Jean Funk, der für einige Jahre in den Zwanzigern Vorsitzender des 1. Mainzer Fußball und Sportverein 05 e. V. war. Außerdem war Sissi Rosenbusch mit Jean Baptist Helm nach dem Zweiten Weltkrieg 1. Vorsitzender des MCC, und Frau Greiner-Mundo, Schwester der Fastnachtsgröße Martin Mundo, aktiv. Und auch mit dem aus heutiger Sicht wohl größten Fastnachter stand er auf der Bühne: Am 26. Februar 1930 trat er bei der Damensitzung des Liederkreises Mainz mit Ernst Neger auf. Dieser bezeichnete Siegfried Rosenbusch später als eines seiner Vorbilder, was die besondere Stellung Siegfried Rosenbuschs für die Mainzer Fastnacht, auch über sein Leben hinaus, deutlich unterstreicht.
Auch Albert war aktiver Fastnachter und stand mit seinem Bruder gemeinsam auf den Bühnen der Mainzer Fastnacht.

An dieser Stelle sollen ein paar Zeilen aus dem Mainzer Anzeiger nicht vorenthalten werden, in denen Siegfried Rosenbusch als Fastnachter mit einem sehr breiten Spektrum an Talenten sehr gut charakterisiert wird.

„…beleuchtete der Urnarr Sissi Rosenbusch in urkomischer Art einen Streifzug durchs Leben, wobei er allen Politikern Arretierung wünschte. […] Hier folgte der Clou des Abends, eine Begegnung des Maaz mit em Gettche. Die beiden Urnarren Jean Helm und Sissi Rosenbusch verstanden es, in Wort und Geste die Lachmuskeln der Narrhallesen in anhaltender Erschütterung zu halten, wofür die nicht enden wollenden Beifall einheimsen konnten. […] Vom ganzen Haus begleitet sang der Urnarr Sissi Rosenbusch die „Utschewacht“, die tosenden Beifall auslößte.“

(Mainzer Anzeiger Donnerstag 2. Februar 1928: Herrensitzung der Elektriker)

„Noch gab es ein Zwiegespräch der Narrhallesen J. Helm und Sissi Rosenbusch, die als typische Frauen alten Schlags sich so manches vorzuwerfen hatten. Die beiden Vortragenden bewiesen einen guten Blick für allerlei Motive, die sie wirkungsvoll in den Vortrag hineingearbeitet hatten. Sie quittierten über starken und ehrlichen Beifall.“

(Mainzer Anzeiger 8. Februar 1930: Dritte Herrensitzung des MCV)

„Pünktlich um 08:11 Uhr senkte sich der Bühnenvorhang und das Eröffnungsspiel „Er hots gepackt“, Verfasser J. Funk und S. Rosenbusch, Spielleitung J. Schmidt, nahm seinen Anfang. Der Inhalt sei hier kurz skizziert: Der Schustermeister Pechbraht (S.Rosenbusch) sieht im Blatt, dass auf seiner Nummer der erste Preis von 1000 Mk. im Weihnachtspreisausschreiben gefallen sei. Darob Jubel in der von irdischen Gütern nicht besonders bevorzugten Schusterfamilie. Die Meisterin (Frau Jerz) soll ein Kleid, einen neuen Hut und ein paar Liliputschuhe erhalten. Der Schusterlehrling (Albert Rosenbusch) muss Speise und Trank holen, um das frohe Ereignis entsprechend zu feiern. Da trifft ein Schreiben von der Wettbewerbskommission ein, daß ein Irrtum unterlaufen sein, der Gewinn von tausend Mark sei auf eine andere Nummer gefallen. Ade Schuldentilgung, neues Kleid, Hut, Liliputschuhe und Fastnachtsstimmung. Frau Sorge (Frau Greiner-Mundo) stellt sich wieder ein. Auch der Prinz Karneval (Jean Schmidt) versucht vergebens, die Schusterfamilie aufzumuntern. Nunmehr erscheint Moguntia (Frau Greiner Mundo). Ihr gelingt es, die Schusterfamilie wieder hoffnungsfroh zu machen, als sie mit Hilfe des Prinzen Karneval das närrische Ministerium begeistert. Das hübsch, gutdurchdachte Eröffnungsspiel hatte einen durchschlagenden Erfolg.“

(Mainzer Anzeiger 19. Januar 1931: Herrensitzung der Geselligen Vereinigung Ukra Mainz)

„…stieg das humorvolle, von den Urnarren Sissi Rosenbusch und Jean Funk verfaßte Eröffnungsspiel „Trotz aller Not, Humor Gebot“. Es wurde recht gut gespielt, so daß die Mitwirkenden Frau Jerz, Jos. Schmitt, Sissi und Albert Rosenbusch, sowie der Regisseur J. Muhr wohlverdienten Beifall erzielten. […] Weiter verschönten noch den Abend mit humorvollen Darbietungen die Narren … Sissi Rosenbusch.“

Mainzer Anzeiger 25. Januar 1932: Herrensitzung der „Ukra“

Ein Beleg, wie eng Siegfried Rosenbusch beide Leidenschaften verband, ist mindestens ein gemeinsamer Fastnachtsmaskenball der Ukra und Nullfünf. Als Preis für den Kostümwettbewerb waren insgesamt zwölf Flaschen Schönberger Sekt ausgelobt. Die Dekoration in Form von Ballons wurde von Carl Lahnstein gesponsert. Gefeiert wurde bis in die Morgenstunden des nächsten Tages.

Die Fastnachtskampagne 1933 war die letzte für Siegfried Rosenbusch, denn nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem damit verbundenen Ausschluss aller jüdischen Menschen aus Vereinen wird auch seine Zeit in der Fastnacht geendet haben. Auch hier wurden Vereine ‚gleichgeschaltet‘ und jüdische Menschen ausgeschlossen.

Siegfried Rosenbusch war ohne Zweifel für seinen herausragenden Humor bekannt, den er auch bei Veranstaltungen unter Beweis stellte, die nichts mit der Fastnacht zu tun hatte. So gibt es einen Zeitungsartikel im Mitteilungsblatt des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden Hessen aus dem September 1930, in dem über das 60. Bestehen des Mainzer Veteranenvereins berichtet wird: „[…] Herr S. Rosenbusch erfreute uns durch seinen herzerfrischenden Humor.“ Außerdem stand er bei einer Jubiläumsveranstaltung anlässlich des 25. Vereinsjubiläums bei BFC Borussia Kastel auf der Bühne.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der ‚Gleichschaltung‘ der Sportvereine fand am 9. August 1933 auch beim 1. Mainzer Fußball und Sportverein 05 e. V. eine Mitgliederversammlung statt, bei der sämtliche jüdische Mitglieder ausgeschlossen wurden. Davon war sehr wahrscheinlich auch Siegfried Rosenbusch betroffen. Jüdinnen*Juden durften nun nicht mehr am normalen Sportbetrieb teilnehmen. Es gründeten sich deshalb überall im Deutschen Reich Organisationen und Gemeinschaften, die das Leben unabhängig in jüdischen Kreisen organisierten. Isoliert von der restlichen Gesellschaft kristallisierten sich auch Sportgruppen aus diesen Organisationen heraus. So findet sich im Jahr 1933 in der Novemberausgabe des Mitteilungsblatt des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden Hessens eine Meldung, die die Gründung einer Sportgruppe in Mainz verkündet. „Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten gründete, wie in anderen Städten Deutschlands, so auch hier in Mainz eine Sportgruppe.“

In dieser Sportgruppe wurde Turnen, Leichtathletik, Fußball und Handball angeboten. Siegfried Rosenbusch wurde die Verantwortung für das Fußballtraining übertragen. Die Fußballsektion der Sportgruppe nahm ab diesem Zeitpunkt an einem regen Spielbetrieb teil und spielte zwei Mal im Monat gegen andere jüdische Fußballmannschaften aus dem Rhein-Main-Gebiet. Dies geschah meist im Wechsel mit Spielen im Handball, womöglich, weil sich die Teilnehmerkreise beider Mannschaften überschnitten und die Spieler sowohl Handball als auch Fußball spielten.

Wie die Trainerlaufbahn von Siegfried weiter verläuft, ist aus den weiteren Ausgaben des Mitteilungsblatt des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden Hessens leider nicht zu entnehmen. Zwar finden sich zahlreiche Ergebnisse und Spielberichte in den Mitteilungsblättern und anderen Publikationen, jedoch meist ohne Angabe von Namen.

Trotz dieser zahlreichen besonderen Anekdoten aus dem Leben von Sissi Rosenbusch ist leider nicht bekannt, wie er sein tägliches Leben aussah. Lediglich in einem Bericht einer der großen Mainzer Fastnachtslegenden, Jakob Wucher, aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, finden sich noch interessante Details über die Persönlichkeit Siegfried Rosenbusch und dessen Zeit nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Wucher war ab 1928 das Aushängeschild der Geselligen Vereinigung Ukra Mainz und ab den Fünfzigern für viele Jahre der Präsident des Mainzer Carneval Clubs. Außerdem gilt er als einer der Väter der Mainzer Fernsehfastnacht. In einem Buch, das 1983 über Jakob Wucher erschienen ist, berichtet er eine halbe Seite über Siegfried Rosenbusch: „Ich hab ihn noch erlebt, da hatte er seinen Judenstern an, da hat er bei einem Bauunternehmer zwangsweise geschafft. Dazu waren Juden verpflichtet. Da hab ich ihn mal auf dem Bahnhof getroffen, und da hab ich gesagt: ‚Sissi, wie?‘ Wir waren ja gute Freunde. Und er sagt: ‚Jakob, tu dir selber den Gefallen und geh fort!‘. Da hab ich gesagt: ‚Sissi, ich will dir mal was sagen, du kannst abends, wenn es dunkel ist, jederzeit zu mir zum Essen kommen.‘ Da haben wir ihn so durchgefüttert, so lange das ging. Der Sissi Rosenbusch, ach Gott, was war das ein goldiger Kerl.“

In den Tagen nach der Pogromnacht 1938, in der zahlreiche Wohnungen und Einrichtungen jüdischer Mainzer*innen und auch die Mainzer Synagoge verwüstet und zerstört worden waren, war Siegfried Rosenbusch gemeinsam mit seinem Bruder Albert einer von fünfzehn Aufräumhelfern, die die Schäden beseitigten mussten.

Am 10. September 1939 wurde eine Kennkarte von Siegfried Rosenbusch ausgestellt, die der Polizeipräsident unterzeichnete. Darauf sind neben seinem vollständigen Namen, Geburtsdatum und -ort, Beruf, un- und veränderliche Kennzeichen [Anmerkung des Autors: Feste äußerliche Merkmale z.B. Narben] auch Platz für Bemerkungen über die Person. Außerdem ist ein Lichtbild aufgeklebt und es finden sich Fingerabdrücke beider Zeigefinger. Zu dieser Zeit war Siegfried Rosenbusch noch immer in der Emmeransstraße 10 gemeldet.


Kennkarte von Siegfried Rosenbusch (© Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland)

Innerhalb der folgenden drei Jahre muss die Familie ihren dortigen Wohnsitz aufgegeben haben. Albert Rosenbusch und seine Frau ziehen zwischenzeitlich nach Schwebheim, dem Geburtsort der Mutter Therese, der wenige Kilometer südlich von Schweinfurt in Bayern liegt. Was sie dort genau gemacht haben, ist leider nicht zu rekonstruieren. In Schwebheim kamen sie sehr wahrscheinlich bei Verwandten unter, die Rosenbuschs waren in der kleinen Gemeinde nämlich sehr verwurzelt. Doch bereits nach kurzer Zeit kehrten die beiden wieder zurück nach Mainz und waren dort gemeinsam mit Siegfried in der Rosengasse 7 gemeldet.


Kennkarte von Albert Rosenbusch (© Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland)

Am 20. März 1942 wurden sie wie hunderte andere Mainzer Jüdinnen*Juden von Gestapobeamten verhaftet und anschließend in das Sammellager in der Feldbergschule gebracht. Von dort wurden sie am nächsten Tag nach Darmstadt gebracht, ehe sie drei Tage später mit ungefähr 1.000 weiteren Menschen mit dem Transport „DA 14“ deportiert werden. Man findet die Namen von Siegfried, Albert und seiner Frau Erna Rosenbusch an Position 864, 865 und 866 auf Seite 46 der Deportationsliste des Zuges nach Piaski. Wann und unter welchen Umständen sie dort starben oder ermordet wurden, ist nicht überliefert.


Deportationsliste von Mainz über Darmstadt nach Piaski (© Stadtarchiv Mainz, NL Oppenheim)
Deportationsliste von Darmstadt nach Piaski (© Arolsen Archives)
Deportationsliste von Mainz nach Theresienstadt (© Stadtarchiv Mainz, NL Oppenheim)

Therese Rosenbusch lebte nach dem Verlassen der Wohnung in der Emmeransstraße in der damaligen Gonsenheimer Straße 11 (Heute Fritz-Kohl-Straße). Dort befand sich viele Jahre ein jüdisches Krankenhaus mit angeschlossenem Altersheim. Dieses wurde von den Nationalsozialisten genutzt, um zahlreiche ältere Mainzer Jüdinnen*Juden zu sammeln. Am 27. September 1942 wurde das Haus aufgelöst und alle Bewohner*innen nach Theresienstadt deportiert. Auch Therese Rosenbusch befand sich unter den Deportierten. In Theresienstadt wurde sie am 21. Dezember 1942 ermordet und anschließend eingeäschert. Sie wurde 75 Jahre alt.



Text: Nils Friedrich

Redaktionelle Bearbeitung: HdE

Nils Friedrich hat neben der Biografie von Siegfried Rosenbusch noch zwölf weitere Lebenswege ehemaliger 05er recherchiert. Sie sind in einem Buch zusammengestellt und mit zahlreichen Hintergrundinformationen und Bildmaterial versehen. Das Buch „Es war einmal… Vergessene 05er“ ist für 10€ im Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz (Flachsmarktstraße 36) oder per Mailbestellung an bestellung@es-war-einmal-fanzine.de erhältlich.



Quellen- und Literaturhinweise:

Arolsen Archives: Deportationsliste aus Darmstadt in das Ghetto Piaski, 20.03.1942.

Bermeitinger, Michael: Mainzer Stadtspaziergänge, Bd. 3 (Vom Münsterplatz zur Oberstadt und zurück).

Hanfgern, Werner/ Mühl, Bernd/ Schütz, Friedrich: Fünfundachtzig Mainzer Jahre.

Krawietz, Peter: Ein Mainzer Fastnachtsoriginal – Adolf Gottron zwischen Nationalsozialismus und Demokratie

Stadtarchiv Mainz: Mainzer Anzeiger (diverse Ausgaben), Geburtsregister der Stadt Mainz, Adressbücher der Stadt Mainz, Deportationslisten (NL Oppenheim)

Universitätsarchiv der Universität Frankfurt am Main: Mitteilungsblatt des Landesverbandes israelitischer Religionsgemeinden Hessens

Vereinsarchiv des 1. FSV Mainz 05: Festschrift zum 25. Vereinsjubiläum des 1. Mainzer Fußball- und Sportverein 05 e.V., Festschrift zum 50. Vereinsjubiläum des 1. Mainzer Fußball- und Sportverein 05 e.V.Vereinszeitungen des 1. Mainzer Fußball- und Sportverein 05 e. V.

Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Kennkarten.



Die Stolpersteine für die Familie Rosenbusch wurden am 20. Mai 2025 in der Emmeransstraße 15 (vormals 10) verlegt.

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