In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die Novemberpogromnacht genannt wird, fanden reichsweit Boykotte und radikal gewalttätige Ausschreitungen gegen Jüdinnen*Juden in ihren Geschäften, in ihren Privatwohnungen, auf der Straße und in Synagogen statt. So wurden viele Häuser und Schaufensterscheiben zerstört, Synagogen in Brand gesetzt und physisch Gewalt an jüdischen Menschen verübt.
Die Novemberpogromnacht meint die Verwüstungen vieler Synagogen, Wohnungen und Geschäfte von Jüdinnen*Juden durch die SA in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Die am 9. und 10. November 1938 stattfindenden Pogrome gegen Jüdinnen*Juden im ganzen Deutschen Reich bedeuteten eine Verschärfung der Verfolgung durch das NS-Regime. Grundlage für die Durchführung der Pogrome war ein Beschluss während eines Treffens zwischen Hitler und Goebbels in München. Anlass dafür war die Nachricht vom Tod des Legionssekretärs Ernst Eduard vom Rath in Paris, der zwei Tage nach einem Attentat durch den 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan seinen Verletzungen erlegen war. Grynszpan wollte wohl Vergeltung für seine Eltern üben, die im Oktober 1938 gemeinsam mit vielen weiteren tausend in Deutschland lebenden Jüdinnen*Juden polnischer Staatsangehörigkeit völlig unvermittelt von der Gestapo verhaftet und an die polnische Staatsgrenze abgeschoben wurden. Die Gruppenführer der SA in München erließen Befehle an die untergeordneten Gruppen und diese wiederum an sämtliche Brigaden, Standarten und Stürme mit dem Ziel, Aktionen gegen jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen durchzuführen.
Auch in Mainz richtete das Novemberpogrom schlimme Schäden an. So wurde die Mainzer Hauptsynagoge in der Hindenburgstraße durch Brandlegung zerstört. Der Davidstern wurde vom Dach der Kuppel entfernt, die Synagoge brannte gemeinsam mit dem angrenzenden Haus nieder, in dem die jüdische Bezirksschule, die Bibliothek und die Verwaltung untergebracht waren. Die Feuerwehr durfte den Brand nicht löschen oder eindämmen, sondern lediglich das Übergreifen auf umliegende Gebäude verhindern. Die beschädigte und geschändete Synagoge wurde im Anschluss gesprengt und zum Einsturz gebracht. Für die Kosten der Sprengung und der sich anschließenden Aufräumarbeiten musste die Jüdische Gemeinde Mainz aufkommen. Die Zerstörung der Synagoge bedeutete auch zeitgleich den Untergang der Jüdischen Gemeinde in Mainz. Nach der Pogromnachtund am Morgen des 10. Novembers zogen fanatisiert gesteuerte Nationalsozialist*innen (darunter auch zahlreiche vom Unterricht befreite Schüler*innen) durch Mainz und verwüsteten und zerstörten jüdische Geschäfte sowie Privatwohnungen und misshandelten Jüdinnen*Juden. Mit den Pogromen einher gingen Verhaftungen und Deportationen der Jüdinnen*Juden in Konzentrationslager wie Buchenwald und Dachau. Die Hoffnungen, in der Heimat zu bleiben, die viele Jüdinnen*Juden noch hatten, wurden durch die Erfahrungen in der Pogromnacht zunichte gemacht. „Die Auswanderungszahlen stiegen wieder steil an. Waren zwischen 1933 und August 1938 rund 650 Mainzer Juden aus Deutschland weggegangen, so verdoppelte sich diese Zahl bis 1941.“ (Brüchert, 1988, S. 91).
Literaturhinweise:
Berkessel, Hans: „Als die letzten Hoffnungen verbrannten. Die Pogromnacht des 9./10. November 1938 in Mainz, in: Mainzer Vierteljahreshefte 4/2018, S. 4-11.
Berkessel, Hans; Brüchert, Hedwig; Dobras, Wolfgang; Erbar, Ralph; Teske, Frank (Hrsg.): Leuchte des Exils. Zeugnisse jüdischen Lebens in Mainz und Bingen, Nünnerich-Asmus, Oppenheim 2016 (Beiträge zur Geschichte der Juden in Rheinland-Pfalz, Bd. 1).
Bömelburg, Hans-Jürgen: Zurück blieb ein Trümmerfeld. Die Pogrome vom 9./10. November 1938 in Mainz, in: Keim, Anton Maria & Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. (Hrsg.): Als die letzten Hoffnungen verbrannten. 9./10. November 1938. Mainzer Juden zwischen Integration und Vernichtung, Hermann Schmidt, Mainz 1988, S. 67–78.
Brüchert, Hedwig: In alle Winde zerstreut. Mainzer Juden in der Emigration, in: Keim, Anton Maria & Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. (Hrsg.): Als die letzten Hoffnungen verbrannten. 9./10. November 1938. Mainzer Juden zwischen Integration und Vernichtung, Hermann Schmidt, Mainz 1988, S. 79–100.
Brüchert, Hedwig: Nationalsozialistischer Rassenwahn. Entrechtung, Verschleppung und Ermordung der Mainzer Juden, Sinti und geistig behinderten Menschen, in: Stadt Mainz (Hrsg.): Der Nationalsozialismus in Mainz 1933–45. Terror und Alltag (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Bd. 36), Stadtarchiv, Mainz 2008.
Krienke, Dieter: „Eine Zierde unserer geliebten Vaterstadt“. Die Mainzer Hauptsynagoge von Willy Graf (1912), in: Brüchert, Hedwig (Hrsg.): Die Mainzer Synagogen. Ein Überblick über die Mainzer Synagogenbauwerke mit ergänzenden Beiträgen über bedeutende Rabbiner, das alte Judenviertel und die Bibliotheken der jüdischen Gemeinden, Mainz 2008 (Sonderheft der Mainzer Geschichtsblätter), S. 89–117.
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