‚Euthanasie‘

Der Begriff ,Euthanasie‘ wurde von den Nationalsozialisten benutzt um die Ermordung von Menschen mit physischen und/oder psychischen Krankheiten, Einschränkungen oder auch Behinderungen als ,Gnadentod‘ zu verharmlosen. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und beschreibt eigentlich einen leichten und schönen Tod („eu“ für „gut, schön“ und „thanatos“ für „Tod“). In der Realität aber versteckte sich hinter dem Begriff eine genauestens durchgeplante Tötungsaktion (Tarnbezeichnung: ,Aktion T4‘).

Menschen mit verschiedensten Arten von physischen und/oder psychischen Krankheiten, Einschränkungen oder auch Behinderungen gehörten für die Nationalsozialisten nicht zur sogenannten ,Volksgemeinschaft‘ und wurden aufgrund dessen zwangssterilisiert und ermordet. Viele Menschen mit Behinderung wurden in Nerven- und Heilanstalten sowie Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung lebten und versorgt wurden, ermordet. Nach der nationalsozialistischen ‚Rassenpolitik‘ galten diese Menschen als ‚nicht lebenswert‘. 

Neben der Ermordung im Rahmen der NS-‚Euthanasie‘ wurden aufgrund der nationalsozialistischen ‚Rassenpolitik‘ auch viele Menschen zwangssterilisiert. Am 14. Juli 1933 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) beschlossen, das am 1. Januar 1934 in Kraft trat. Aufgrund dieses Gesetzes wurden während der nationalsozialistischen Diktatur 380.000 bis 400.000 Männer und Frauen zwangssterilisiert, wobei etwa 5.000 Menschen infolge des operativen Eingriffes starben. Bereits Mitte der 1920er-Jahre war die Idee aufgekommen, ein sogenanntes „Sterilisationsgesetz“ zu verabschieden, wobei hier noch die Einwilligung der Betroffenen als Bedingung für diesen operativen Eingriff vorgesehen war. Im Nationalsozialismus konnten nun aufgrund des GzVeN Menschen zwangssterilisiert werden, die an folgenden ‚Krankheiten‘ litten: ‚angeborener Schwachsinn‘, Schizophrenie, zirkuläres und manisch-depressives ‚Irresein‘, erbliche ‚Fallsucht‘ (Epilepsie), erblicher ‚Veitstanz‘ (Huntingtonsche Chorea), erbliche Blindheit, erbliche Taubheit, erbliche körperliche Missbildung und Alkoholismus. Vor allem die erste Diagnose, ‚angeborener Schwachsinn‘ muss kritisch hinterfragt werden, da sie häufig gestellt wurde, um politische Gegner*innen als ‚krank‘ abzustempeln und diese in Nerven- und Heilanstalten einzuweisen. Das nationalsozialistische „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) galt in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik Deutschland lange Zeit nicht als ‚unrechtmäßiges‘ Gesetz, weswegen von dem Gesetz Betroffene nicht entschädigt wurden. Erst ab den 1980er-Jahren kam zwangssterilisierten Menschen eine einmalige Zahlung von 5.000 DM zugute. Ab 1988 erhielten die Betroffenen eine kleine Rente. Ein Jahr zuvor war der „Bund der ‚Euthanasie‘-Geschädigten und Zwangssterilisierten“ (BEZ) gegründet worden, in dem sich Betroffene für die Anerkennung des Erlebten einsetzten und auf die psychischen Folgen ihrer erzwungenen Kinderlosigkeit verwiesen.

Zur Geschichte der NS-‚Euthanasie‘, aber vor allem zu den Opfern aus Mainz und Rheinhessen hat das Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz eine Ausstellung konzipiert, zu der man hier gelangt.


Literaturhinweise:

Aly, Götz: Die Belasteten. Euthanasie 1939–1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, Frankfurt am Main 2013.

Benzhöfer, Udo: Entwürfe für ein NS-„Euthanasie“-Gesetz (1939/1940), Ulm 2017 (Frankfurter Studien zur Geschichte und Ethik der Medizin, Bd. 4).

Goebel, Christine/ Hocke, Michaela/ Pawelletz, Jörg (Hrsg.): „Lebensunwert“ – entwürdigt und vernichtet. Zwangssterilisation und Patientenmorde im Nationalsozialismus im Spiegel der Quellen des Landeshauptarchivs Koblenz. Begleitband zur Ausstellung, Koblenz 2017 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 126).

Hedwig, Andreas/ Petter, Dirk (Hrsg.): Auslese der Starken – „Ausmerzung“ der Schwachen. Eugenik und NS-„Euthanasie“ im 20. Jahrhundert, Marburg 2017 (Schriften des Hessischen Staatsarchiv Marburg, Bd. 35).

Hexemer, Hans-Peter (Hrsg.): Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, 2016: Plenarsitzung in der Rheinhessen-Fachklinik Alzey, Ausstellung im Landtag Rheinland-Pfalz und der Gedenkstätte KZ Osthofen, Mainz 2017 (Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, Heft 66).

Hinz-Wessels, Annette: Tiergartenstraße 4. Schaltzentrale der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde, Berlin 2015.

Israelitische Religionsgesellschaft Mainz (Hrsg.): Zur Geschichte der Unterrichtsanstalt der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Mainz. Festschrift anlässlich ihres 75jährigen Bestehens 1859-1934, Mainz 1935, S. 41 (Klassenlisten nach 1908 sind nicht überliefert).

Kneuker, Gerhard/ Steglich, Wulf: Begegnungen mit der Euthanasie in Hadamar, Rehburg-Loccum 2016.

Osterloh, Jörg/ Schulte, Jan Erik (Hrsg.): „Euthanasie“ und Holocaust. Kontinuitäten, Kausalitäten, Parallelitäten, Paderborn 2021 (Schriftenreihe der Gedenkstätte Hadamar, Bd. 1).

Polter, Lars: Zwangssterilisation und „Euthanasie“ im Erinnern und Erzählen. Biografische Interviews mit Betroffenen und Angehörigen, Münster u. a. 2020 (Studien zur Volkskunde in Thüringen, Bd. 10).

Westermann, Stefanie: Verschwiegenes Leid. Der Umgang mit den NS-Zwangssterilisationen in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 2010 (Menschen und Kulturen, Bd. 7).

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