Geschwister Cantor



Ludwig Max Cantor

  • geboren am 11. September 1870
  • beging am 17. Februar 1944 Suizid

Paul Cantor

  • geboren am 13. Januar 1876
  • am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert
  • gestorben am 20. Oktober 1942

Anna Cantor

  • geboren am 13. April 1872
  • am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert
  • gestorben am 11. Mai 1944

Ernst Cantor

  • geboren am 17. November 1877 in Mainz
  • am 25. März 1942 nach Piaski deportiert


Porträt Ernst Cantors
(© Stadtarchiv Mainz ZGS/E 3,17)


Ernst Cantor kam am 17. November 1877 in Mainz als jüngstes von fünf Kindern zur Welt. Die Familie Cantor bewohnte das Haus in der Breidenbacher Straße 19, das bereits seit 1870 der Familie gehörte. Hugo Cantor, der Vater der fünf Geschwister (1828–1905) war ein erfolgreicher Fabrikant, wodurch die Familie zu den wohlhabenden jüdischen Familien in Mainz zählte. 

Ernst Cantor schloss seine schulische Laufbahn mit dem Abitur ab und begann danach eine kaufmännische Lehre. Im Anschluss arbeitete er bei der Mainzer Versicherungsgesellschaft Viktoria. Diesem Unternehmen, bei dem er schlussendlich als Subdirektor mitarbeitete, blieb er bis zur ‚Gleichschaltung’ des Betriebes treu. Er meldete sich 1914 freiwillig zum Ersten Weltkrieg, in dem er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde und an dessen Ende er sich einige Zeit in französischer Kriegsgefangenschaft befand.


Sportlich konzentrierte er sich vor allem auf die Disziplinen Fechten, Schwimmen und Geräteturnen. In diesen Kreisen erlangte Ernst Cantor zudem großes Ansehen, da in Zeitungen seine detaillierten Berichte über die Wettkampfdisziplinen und deren Ausführung veröffentlicht wurden. Im Jahr 1911 wurde Ernst Cantor zum 1. Vorsitzenden des Vereins ernannt und konnte auch in den politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten der Weimarer Republik die Mitgliederzahl des MTV stetig steigern. Dieser Zuwachs wurde insbesondere durch den vermehrten Eintritt von Frauen und Mädchen ermöglicht. Ernst Cantor hatte sich hierfür stark gemacht, sodass zu Beginn der 1930er-Jahre über 1.000 Mitglieder im MTV aktiv waren. Unter Ernst Cantor als Vorsitzendem beteiligte sich der MTV zudem an vielen sozialen Projekten dieser Zeit und sammelte mit diversen Aktionen Spendengelder für die Kriegskinderfürsorge oder sozial schwache ‚Soldatenfrauen‘. Zudem gründete Ernst Cantor eine Stiftung, die angehende Übungsleiter*innen bei ihrer Ausbildung unterstützte. In dieser Zeit, den Zwanziger Jahren, feierten die Mannschaften und Staffeln des MTV zudem große Erfolge. Dennoch stand für Cantor stets der gemeinschaftliche und gesellschaftliche Aspekt des Sports im Vordergrund.

Ernst Cantor war ein Patriot und stand zudem für die Ideale der Turnerschaft ein, wie sie von ihrem Begründer, dem „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn niedergeschrieben worden waren. 1923 wurde er für ein Jahr aus dem damals französisch besetzten Mainz verwiesen, da er sich geweigert hatte, die Turnhalle des Vereins an die Besatzungsmacht zu übergeben. Im Jahr 1930 würdigte die Kreisturnzeitung Ernst Cantor als „bewährten und verdienten 1. Sprecher“, der „in all den Jahren der Not und Entbehrung Vieles und Großes geleistet“ (Schnitzler, 2008: 35) habe. Ernst Cantor war in seinem jüdischen Glauben liberal eingestellt und wie viele andere Jüdinnen*Juden zu dieser Zeit Mitglied in einem nicht-jüdischen Sportverein. Jüdinnen*Juden waren in großer Zahl in den damals populären Vereinen vertreten und erlangten zum Teil, wie das Beispiel Cantors zeigt, hohe Positionen und Ansehen innerhalb dieser Organisationen. Er identifizierte sich sehr stark mit seiner deutschen Heimat und war innerhalb seines Vereins und darüber hinaus in der Mainzer Gesellschaft verankert.

Der Deutsche Turnerbund tat sich nach der ‚Machtübernahme’ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 dadurch hervor, dass er seine eigene ‚Gleichschaltung’ und die Ausgrenzung von Jüdinnen*Juden in ‚vorauseilendem Gehorsam‘ unternahm. Dieses Vorgehen wird heutzutage als „Selbstgleichschaltung“ (Schnitzler, 2008: 41) bezeichnet, da der Turnverband bereits sehr früh gegen Jüdinnen*Juden in der Organisation vorging, ohne dass dies zu diesem Zeitpunkt von den Nationalsozialisten explizit angeordnet worden wäre. Bereits im April 1933 schloss der Deutsche Turnerbund alle jüdischen und kommunistischen Mitglieder aus und folgte damit bereits den Grundgedanken der erst zwei Jahren später beschlossenen ‚Nürnberger Rassegesetzen‘.


Kennkarte von Ernst Cantor
(© Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland)

Ernst Cantor musste seinen Vorsitz und auch seine Mitgliedschaft beim Mainzer Turnverein aufgeben. In den Folgejahren verlor er zudem seine Arbeitsstelle und musste aus seiner Wohnung in ein sogenanntes ‚Judenhaus’ umziehen. Am damaligen Horst-Wessel-Platz 11 bewohnte er eine Etage mit seiner Schwester und seinem Bruder sowie den beiden Hauseigentümern und drei weiteren Jüdinnen*Juden. In diesen beengten Lebensverhältnissen verbrachte er seine letzte Zeit in Mainz. Am 25. März 1942 wurde er mit dem ersten Mainzer Transport von Jüdinnen*Juden nach Piaski deportiert und dort ermordet.

Seine beiden Geschwister, Anna und Paul Cantor, mit denen er bis zuletzt am Horst-Wessel-Platz gewohnt hatte, wurden ein halbes Jahr später mit dem zweiten großen Mainzer Transport von Jüdinnen*Juden am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Beide starben dort, Paul Cantor bereits nach einem Monat und Anna Cantor im Mai 1944.


Kennkarte von Paul Cantor
(© Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland)

Ludwig Max Cantor, ein weiterer Bruder Ernst Cantors, wurde nicht mit den frühen Transporten deportiert, da er in einer sogenannten ‚Mischehe‘ lebte. Er bewohnte mit seiner Frau und seinem Sohn eine Wohnung in Berlin. Diese mussten sie allerdings im Jahr 1943 auf Anweisung der Behörden aufgrund der Religionszugehörigkeit von Ludwig Max Cantor räumen. Fortan lebte die Familie in beengten Verhältnissen und nachdem ihre Unterkunft bei einem Bombenangriff zerstört wurde, scheiterten alle Versuche, eine neue Bleibe für die Familie zu finden an Ludwig Max Cantors Einstufung als Jude seitens der NS-Behörden. Wie seine Ehefrau Ida Cantor nach Ende des Zweiten Weltkriegs aussagte, trieben die Angst vor einer Deportation und die aussichtslose Lage Ludwig Max Cantor schließlich in den Suizid.  

Die Schwester Marie Friederike Josephine Cantor, am 18. Januar 1875 in Mainz geboren, heiratete 1905 August Åhman (1869–1923). Das Ehepaar wanderte kurz nach der Hochzeit nach Schweden aus und konnte so das NS-Regime überleben.



Text: HdE

Redaktionelle Bearbeitung: HdE


Literaturhinweise:

Schnitzler, Thomas: „Gewissenhaft und treudeutsch“: Ernst Cantor. Leben und Wirken eines Turnvorsitzenden aus Mainz, der Opfer der Rassenverfolgung wurde, in: SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft. Geschichte des Sports der Juden in Deutschland und Österreich 8 (2008), H. 2, S. 31–60.

Schnitzler, Thomas: Materialsammlung zur Familie Cantor, https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/3ENCD5DUCUDTFTDAZCEDQMQGM3GQIVVS [aufgerufen am 22.04.2022].




Die Stolpersteine wurden am 5. November 2007 in der Breidenbacherstr. 19 verlegt.

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