Jakob Nieteckmann
- Geboren am 28. Februar 1883 in Teofipol (heute: Ukraine)
- Deportation ab Frankfurt am Main am 12. November 1941 in das Ghetto in Minsk (heute: Belarus)
Ilse Ilsa Nieteckmann
- Geboren am 12. Oktober 1914 in Mainz
- Deportation ab Frankfurt am Main am 12. November 1941 in das Ghetto in Minsk (heute: Belarus)
Emma Nieteckmann (geb. Dornhard)
- Geboren am 07. Februar 1884 in Hennweiler (Landkreis Bad Kreuznach)
- Deportation ab Frankfurt am Main am 12. November 1941 in das Ghetto in Minsk (heute: Belarus)
Sara Rebekka Rivka Nieteckmann (geb. Blumenthal)
- Geboren am 24. Mai 1877 in Kirchbracht (damals Hessen-Nassau)
- Deportation ab Koblenz am 22. März 1942 in das Ghetto Izbica bei Lublin
Jakob Nieteckmann, geboren 1833, war der jüngste Sohn seiner Familie. Er und seine zwei Brüder – Wolf, geboren 1872, und Isaak, geboren 1876 – kamen in Teofipol (damals Sowjetunion, heute Ukraine) zur Welt. Alle drei Brüder kamen zwischen 1900 und 1905 nach Mainz. Isaak Nieteckmann ließ sich zusammen mit seiner Frau Esther, geborene Goldenberg, in Mainz nieder. Jakob Nieteckmann nahm 1911 die aus Hennweiler bei Kreuznach gebürtige Emma Dornhard zur Frau und kam gemeinsam mit ihr nach Mainz. Wolf Nieteckmann heiratete 1906 in London die aus Kirchbracht (heute Ortsteil von Birstein im hessischen Main-Kinzig-Kreis) stammende Rebekka Blumenthal und ließ sich gemeinsam mit ihr 1900 in Mainz nieder. Nachdem er seit 1899 in Karlsruhe gelebt hatte, eröffnete er in Mainz zusammen mit Markus Trugmann eine Mineralwasserfabrik in der Pfandhausstraße 2. Markus Trugmann kam ebenfalls aus Teofipol. Ab 1907 war die Firma „Gebrueder Nieteckmann“ auf den Namen aller drei Brüder eingetragen, damals noch im Kaiser-Willhelm-Ring 78. Die Kinder aller drei Brüder wurden zwischen 1906 und 1916 in Mainz geboren.
1921 kauften die Brüder das Haus in der Rheinallee 28. Ihre Familien wohnten im Vorderhaus, während sie die Fabrik im Hofgebäude einrichteten. Bald wurde das Geschäft erweitert und neben Mineralwasser wurden auch Limonaden, Liköre und Brandweine verkauft. Die Firma war nun unter dem Namen „Gebrüder Nieteckmann, Limonaden-, Likörfabrik und Weinbrennerei“ eingetragen, sie verkauften aber immer auch Mineralwasser.
Aufgrund von französischen Besatzungstruppen, die nach dem Ersten Weltkrieg in Gebäuden untergebracht werden mussten, mussten auch die Familien Nieteckmann ihre Wohnungen räumen und waren gezwungen, auf engem Raum im Hinterhaus zu wohnen. Die französischen Truppen zogen bis 1930 nach und nach aus Mainz ab.
Neben dem Erhalt der Firma, trotz aller wirtschaftlicher Schwierigkeiten der 1920er Jahre, legten die Familien großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder. Die ersten Schuljahre verbrachten alle Kinder auf der Bondi-Schule. Diese Schule der Israelitischen Religionsgesellschaft, des orthodoxen Zweigs der Mainzer Jüdischen Gemeinde, wurde lange von Rabbiner Dr. Jonas Bondi geleitet. Danach gingen die Mädchen und Jungen der Familien Nieteckmann verschiedene schulische Wege, wie es in der Zeit üblich war. David, der Sohn von Wolf Nieteckmann, machte nach dem Besuch der Mainzer Oberrealschule (heute das Schlossgymnasium) eine kaufmännische Ausbildung und fing an im Familienbetrieb zu arbeiten. Auch der jüngere Sohn Walter ging in die Mainzer Oberrealschule, doch sein Wunsch nach dem Abitur Chemie zu studieren schlug fehl, da das Studium für Juden*Jüdinnen in Deutschland zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr möglich war.
Die beiden Töchter von Isaak, Dora und Elfriede (Friedel genannt), besuchten von 1916 bis 1923 bzw. von 1926 bis 1933 die Höhere Mädchenschule Mainz, eine öffentliche Schule der weiterführenden Mädchenbildung. Friedel arbeitete später als Sportlehrerin an der jüdischen Bezirksschule. Die drei Söhne von Isaak und Esther Nieteckmann verstarben schon in jungen Jahren und sind auf dem Neuen Jüdischen Friedhof Mainz beerdigt. Jakobs einzige Tochter Ilse besuchte die Höhere Mädchenschule von 1925 bis 1931.
Die Kunden der Firma „Gebrueder Nieteckmann“ waren oft Kantinen, öffentliche Einrichtungen, Beamtenvereine und ähnliche Institutionen. Kunden, auf die sie sich immer hatten verlassen können. Doch nach der ‚Machtübernahme‘ der Nationalsozialisten 1933 sorgte deren Propaganda dafür, dass sich viele Kunden von Geschäften jüdischer Inhaber*innen abwandten. So auch bei der Firma der Nieteckmanns, was für die Familien und ihr Geschäft schon bald finanzielle Probleme und eine Existenznot hervorrief.
Isaak Nieteckmann erkannte die aufkommenden Probleme schon früh, trat 1934 aus der Firma aus und überließ seinen Brüdern seinen Anteil, bevor er mit seiner Frau Esther und seinen zwei Töchtern nach Palästina emigrierte. Isaak war gelernter Destillateur und erhoffte sich, in Palästina wieder eine Getränkefirma aufbauen zu können. Durch die komplett anderen Bedingungen und das fehlende Kapital für den Aufbau einer solchen Firma, misslang ihm dieser Plan jedoch und seine Familie durchlebte schwere Jahre in Armut, bevor Isaak Nieteckmann 1945 starb.Wolf und Jakob Nieteckmann, die in Deutschland geblieben waren, kamen nun in immer größere Bedrängnis. 1934 entzog ihnen das NS-Regime die deutsche Staatsbürgerschaft, weil sie nicht in Deutschland geboren worden waren. Wolf Nieteckmann starb im April 1938 mit 65 Jahren und fand seine Ruhestätte auf dem Neuen jüdischen Friedhof Mainz. Seinem Sohn Walter war schon 1935 die Flucht nach Palästina gelungen.Durch den Verlust ihres Mannes, die zwangsweise Schließung der Firma, die Zwangsversteigerung des Anwesens in der Rheinallee 28 und die erniedrigenden Lebensbedingungen, denen Jüdinnen*Juden immer stärker ausgesetzt waren, wurde Rebekka Nieteckmann psychisch krank und lebte ab 1938 in der Jacoby‘schen Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn. Dies war eine Einrichtung, die 1869 insbesondere für jüdische Nervenkranke errichtet worden war. Sie war die letzte Einrichtung, die nach der ‚Machtübernahme‘ der Nationalsozialisten noch jüdische Patient*innen aufnehmen durfte. Dort lebte Rebekka bis 1942. Am 22. März 1942 wurde sie gemeinsam mit vielen weiteren noch dort lebenden Patient*innen und Pfleger*innen ins polnische Izbica deportiert und dort ermordet. Wolf Nieteckmanns älterem Sohn David gelang, nachdem er bis zum Schluss in der Firma gearbeitet hatte, im Sommer 1939 die Flucht in die USA.
Jakob Nieteckmann, der als letztes in Mainz, das damals zum Volksstaat Hessen gehörte, geblieben war, wurde aufgefordert Hessen zu verlassen. Daraufhin ging er mit seiner Frau Emma Nieteckmann und seiner Tochter Ilse ins nahegelegene Frankfurt am Main, das damals zu Preußen gehörte. Dort lebten sie vom 6. März 1940 bis zum 12. November 1941. Am 12. November 1941 wurden sie ins russische Minsk deportiert und dort auch ermordet.
Text: Renate Knigge-Tesche
Redaktionelle Bearbeitung: HdE und Filippa Albrecht
Quellen- und Literaturhinweise:
Amt für Wiedergutmachung (AfW) Rheinland-Pfalz, VA 010371, 171898, 181262 u. 209976.
Ancestry, Europa: Registrierung von Ausländern und deutschen Verfolgten, Gemeinde Frankfurt/Main, Liste F, Blatt 3, staatenlose Personen (Quelle: Digital Archive Bad Arolsen, ITS 137).
Frenzel, Reinhard: Hinweise zur Höheren Mädchenschule Mainz.
Gottwaldt, Alfred/ Schulle, Diana: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941–1945. Eine kommentierte Chronologie, Wiesbaden 2005, S. 84–93.
Schabow, Dietrich: Die israelitische Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Gemütskranke (Jakoby’sche Anstalt, 1869–1942) und die spätere Verwendung der Gebäude, in: Rheinisches Eisenkunstguss-Museum Bendorf-Sayn (Hg.): Die Heil- und Pflegeanstalten für Nerven- und Gemütskranke in Bendorf, Bendorf 2008, S. 45–95.
Schabow, Dietrich: Zur Geschichte der Juden in Bendorf, Bendorf 1979.
Stadtarchiv Mainz, Best. ZGS/E3,12.
Stadtarchiv Mainz: Familienregister Nr. 40548, 41421 und 48936.Stadtarchiv Mainz: Adressbücher der Stadt Mainz inkl. Firmenverzeichnisse 1903 bis 1938.Stadtarchiv Mainz, Sign. 70/1314 (Bürgerannahmen, hier: Wolf Nieteckmann).
Stadtarchiv Mainz, Sign. 71/1345 u. 71/1346 (französische Besetzung Rheinallee 28).
Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, URL: <http://www.statistik-des-holocaust.de/OT420322-7.jpg> [aufgerufen am 08.02.2024].
Die Stolpersteine wurden am 25. Januar 2023 in der Rheinallee 28 verlegt.