Aloys Valentin Krist und Lydia Krist, geb. Culp



Stolpersteine von Aloys Valentin und Lydia Krist

Aloys Valentin Krist

  • Geboren am 17. März 1900 in Biebrich (heute Wiesbaden)
  • Ermordet nach dem 16. Oktober 1944 (Datum der Ankunft im KZ Neuengamme) höchstwahrscheinlich im Hauptlager Neuengamme oder in einem der etwa 85 Außenlager, in den Lagern oder bei der Räumung der Lager und den anschließenden Todesmärschen

Lydia Krist, geb. Culp

  • Geboren am 5. Februar 1900 in Soest (Westfalen)
  • Ermordet am 14. Dezember 1944 im Frauenlager Auschwitz-Birkenau

Zwangsarbeit: das ‚Arbeitserziehungslager‘ Heddernheim

Während des Zweiten Weltkriegs mussten unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft viele Menschen Zwangsarbeit leisten. Sie mussten sowohl in Konzentrationslagern als auch in der Privatindustrie und später  in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit verrichten. Diese Zwangsarbeiter*innen kamen zum Großteil aus den vom NS-Regime besetzten Gebieten. Darüber hinaus wurden auch Jüdinnen*Juden auf Grundlage der nationalsozialistischen ‚Rassenpolitik‘ zur Zwangsarbeit herangezogen. Unter den Zwangsarbeiter*innen wird zwischen vier Gruppen unterschieden: die erste Gruppe bildeten die sogenannten ‚Fremdarbeiter*innen‘, die aus dem Ausland zur Arbeit ins Deutsche Reich kamen. Die zweite Gruppe setzte sich aus den Kriegsgefangenen aus dem Ausland zusammen, so etwa aus Pol*innen, Russ*innen und Französinnen*Franzosen. Die dritte Gruppe umfasste alle KZ-Häftlinge, und auch Jüdinnen*Juden konnten zur vierten Gruppe gezählt werden. Im Sommer 1944 mussten 7,6 Millionen Menschen Zwangsarbeit verrichten, wovon fünf Millionen Zivilarbeiter*innen und zwei Millionen Kriegsgefangene waren. Die Zwangsarbeiter*innen waren vor allem für die deutsche Rüstungsindustrie von großer Bedeutung, da sie die Hälfte der Beschäftigten stellten. Bereits im Jahr 1930 formulierte die „International Labour Organization” (ILO) eine weltweit gültige Definition von Zwangsarbeit: „For the purposes of this Convention the term forced or compulsory labour shall mean all work or service which is exacted from any person under the menace of any penalty and for which the said person has not offered himself voluntarily.”[1] („Für den Zweck dieses Abkommens wird der Begriff Zwangsarbeit als eine Art von Arbeit definiert, die von jedweder Person unter der Androhung von Strafe geleistet wird und die diese Person nicht freiwillig angeboten hat.”) Damit wird jede Arbeit, die innerhalb der Konzentrationslager und außerhalb in der Privatindustrie zwangsweise verrichtet werden muss, als Zwangsarbeit eingestuft. Darüber hinaus mussten viele Zwangsarbeiter*innen auch in sogenannten ‚Arbeitserziehungslagern‘ schwere Arbeit verrichten, so auch in Frankfurt. Im Frankfurter Stadtteil Heddernheim wurde am 1. April 1942 ein Lager eröffnet, das bis zum 18. März 1945 bestand. Inhaftiert waren hier Männer, die zumeist aus den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten in Europa stammten. Im Lager waren demnach viele unterschiedliche Nationalitäten vertreten. Zudem waren aber auch Deutsche hier inhaftiert, die von der Gestapo festgenommen und jederzeit festgesetzt werden konnten. Viele der Häftlinge wurden vom Zwangsarbeitslager aus in andere Konzentrationslager deportiert. Die Häftlinge verrichteten als Zwangsarbeiter zumeist in den umliegenden Frankfurter Fabriken schwere Arbeiten und waren ansonsten im Lager unter schlechten Bedingungen untergebracht. Gewalt durch die Aufseher war an der Tagesordnung und die Lagerverwaltung setzte nur die nötigsten Mittel ein, um die Häftlinge am Leben zu halten. Hierdurch war es den Nationalsozialisten sogar möglich, wirtschaftlichen Gewinn mit dem Lager zu erzielen, da die umliegenden Firmen für ihre Zwangsarbeiter eine kleine Gebühr an die Nationalsozialisten zahlten. Als das Ende des Lagers durch den Vormarsch der Alliierten im Jahr 1945 näher rückte, vernichtete die Gestapo nahezu alle Akten, darunter auch die des ‚Arbeitserziehungslagers‘ Heddernheim. Auch Aloys Valentin Krist wurde in diesem ‚Arbeitserziehungslager‘ zur Zwangsarbeit verpflichtet. Er musste von September 1943 bis Ende September 1944 im ‚Arbeitserziehungslager‘ Frankfurt-Heddernheim schwere Arbeit verrichten.


Aloys Valentin Krist wurde am 17. März 1900 als Sohn von Valentin und Gertrude Krist, geborene Heuser, in Biebrich (heute Wiesbaden) geboren. Er hatte eine Schwester und drei Brüder. Die Familie war katholisch. Als er zwölf Jahre alt war, starb seine Mutter und er kam zunächst in ein Waisenhaus, dann zu Verwandten im Rheingau, woher die väterliche Familie stammte. Nach Ende der Schulzeit arbeitete er in der Landwirtschaft, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als er 19 war, verstarb auch sein Vater. Im Jahr 1927 kam er nach Mainz und war hier in einer Kohlenhandlung tätig. Anfang der 1930er-Jahre folgte wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage eine Zeit der Arbeitslosigkeit, bis er als Arbeiter bei der Reichsbahn eingestellt wurde.

Lydia Culp stammte aus dem westfälischen Soest. Sie kam am 5. Februar 1900 als vorletztes von sieben Kindern der Eheleute Benjamin und Rosa Culp, geborene Weinberg, zur Welt. Die Eltern waren zum Protestantismus konvertiert und die Kinder wurden evangelisch getauft. Wann Lydia Culp nach Mainz kam, lässt sich nicht mehr feststellen. Sie gehörte der Generation von Mädchen und jungen Frauen an, für die nicht unbedingt eine Berufsausbildung vorgesehen war, sondern die häufig – wie es damals hieß – ‚in Stellung geschickt‘ wurden und somit in fremden Haushalten arbeiteten. Auch in Mainz war sie als Hausgehilfin tätig.

Eintrag zu Aloys Valentin Krist im Geburtenregister Biebrich

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Quelle: privat

Wo und wie sich Aloys und Lydia kennenlernten, ist nicht bekannt. Sie heirateten am 6. September 1930 in Mainz und wohnten anfangs in der Wallstraße 57, dann in der Kötherhofstraße 5 und später in der Zanggasse 26. Das Ehepaar Krist hatte es finanziell sehr schwer. Lydia hatte durch die Heirat vermutlich ihre Stelle verloren und war, wie aus einigen Dokumenten hervorgeht, als Reinigungskraft tätig.

Die Lage der Beiden verschärfte sich nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933. In der Stadt Mainz war bekannt, dass Lydia Krist aus einer ehemals jüdischen Soester Familie kam. Zwischen März 1939 und Mai 1941 wurde sie mehrfach für insgesamt acht Monate in der Mainzer Haftanstalt festgesetzt. Schon bei der ersten Festnahme musste Lydia den Zwangsnamen ‚Sara‘ annehmen, wie es das antijüdische „Gesetz über die Änderung der Familiennamen und Vornamen“ vorschrieb, welches ab Januar 1939 galt. Vielleicht waren Denunziationen, wie sie häufig vorkamen, Grund für die Inhaftnahmen. Zwischen den beiden letzten Inhaftierungen Lydia Krists wurde im Jahr 1940 der einzige Sohn des Ehepaars Krist geboren.

Die Eheleute Krist waren inzwischen in die Hintere Bleiche 25 umgezogen, wo sie bis zu ihren letzten Verhaftungen wohnten, von denen sie nicht wiederkehrten. Am 28. August 1943 wurde Aloys Valentin Krist in der Mainzer Haftanstalt in sogenannte ‚Schutzhaft‘ genommen. Von dort verbrachten ihn die Nationalsozialisten kurz danach, am 1. September, in das ‚Arbeitserziehungslager‘ (AEL) Frankfurt-Heddernheim, wo er bis Ende September 1944 blieb. Die Gründe für die Überstellung sind unbekannt. In das Heddernheimer AEL, 1942 für Zwangsarbeiter aus mehreren europäischen Ländern eingerichtet, denen minimale ‚Vergehen‘ in ihrem Zwangsarbeitsverhältnis vorgeworfen wurden, wurden später zumeist Männer aus sehr unterschiedlichen Gruppen aufgenommen. Das Lager fungierte auch als „erweitertes Polizeigefängnis“ und Durchgangsstation zur Überstellung in Konzentrationslager. Mangelnde Hygiene, ungenügende Kleidung und Ernährung bei Schwerstarbeit und brutalen Misshandlungen waren für das AEL kennzeichnend.

Von Heddernheim wurde Aloys Valentin Krist in das KZ Sachsenhausen deportiert und nach kurzem Aufenthalt am 16. Oktober 1944 in das Hamburger KZ Neuengamme verbracht. Er erhielt dort die Häftlings-Nummer 58545. In Neuengamme verliert sich seine Spur, da Häftlingsnachweise vor der Lagerräumung beim Anmarsch der Alliierten vernichtet wurden. Ob er im Hauptlager Neuengamme oder in einem der rund 85 Außenlager bei Bauvorhaben oder in der Rüstungswirtschaft eingesetzt war, ist unbekannt. Etwa 43.000 Häftlinge kamen in den Lagern, bei deren Räumung und bei Todesmärschen ums Leben. Zu ihnen gehörte Aloys Valentin Krist.

Lydia Krist blieb nach ihrer Haftentlassung im Mai 1941 weiterhin im Visier der Gestapo. Details aus ihrem Leben danach sind nicht bekannt. Sie hatte einen kleinen Sohn, um den sie sich kümmern musste und der, ebenso wie sie selbst, gefährdet war. Eine Verwandte berichtete nach dem Krieg, dass Lydia sie mit ihrem Sohn im Kinderwagen besuchte, um sich Rat zu holen. Wann und wo Lydia Krist ein letztes Mal verhaftet wurde, ist nicht dokumentiert. Sie wurde sehr wahrscheinlich im Jahr 1944 erneut inhaftiert, da in diesem Jahr ihr Sohn in ein Kinderheim kam, bevor er an eine Pflegefamilie gegeben wurde.

Karteikarte der Personensuche nach 1945 von Aloys Valentin Krist

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Quelle: Arolsen Archives

Am 26. oder 27. Mai 1944 kam Lydia mit einem Transport in Auschwitz an und erhielt die Häftlings-Nummer 79857. Ein letzter Eintrag zu Lydia Krist ist auf den 10. Oktober 1944 im Frauenlager Auschwitz-Birkenau datiert. Dort verstarb sie am 14. Dezember 1944 im Häftlingskrankenbau, angeblich an „Darmkatarrh bei Herzschwäche“. Sie wurde 44 Jahre alt.


Text: Renate Knigge-Tesche

Redaktionelle Bearbeitung: HdE


[1] CO29 – Forced Labour Convention, 1930 (No. 29). Article 2. In: International Labour Organization (ILO) Online. URL: https://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:12100:0::NO::P12100_ILO_CODE:C029 [Aufgerufen am 02.03.2022].



Literaturhinweise:

Arolsen Archives: Dokumente verschiedener Provenienz

Archive der Gedenkstätten Sachsenhausen, Neuengamme u. Auschwitz;

Brüchert, Hedwig (Hrsg.): Zwangsarbeit in Rheinland-Pfalz während des Zweiten Weltkriegs: Mainzer Kolloquium 2002, Stuttgart 2004 (= Geschichtliche Landeskunde, Bd. 57).

Buggeln, Marc/ Wildt, Michael (Hrsg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014 (= Tagung im Dezember 2012 im Internationalen Geisteswissenschaftlichen Kolleg „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ in Berlin).

Buggeln, Marc: Unfreie Arbeit im Nationalsozialismus. Begrifflichkeiten und Vergleichsaspekte zu den Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten, in: Buggeln, Marc/ Wildt, Michael (Hrsg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014 (= Tagung im Dezember 2012 im Internationalen Geisteswissenschaftlichen Kolleg „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ in Berlin), S. 231-252.

Gerda Henkel Stiftung, URL: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/datensammlung_zum_arbeitserziehungslager_frankfurt_m._heddernheim?nav_id=4286 [Zugriff: 17.12.2020].

Herbert, Ulrich: Zwangsarbeit im „Dritten Reich“. Kenntnisstand, offene Fragen, Forschungsprobleme, in: Hauch, Gabriella (Hrsg.): Industrie und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Mercedes Benz – VW – Reichswerke. Hermann Göring in Linz und Salzgitter, Innsbruck 2003 (= Studien zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte, Bd. 13).

Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Heusler, Andreas/ Spoerer, Mark/ Trischler, Helmuth: Rüstung und Zwangsarbeit im „Dritten Reich“: Eine Einführung, in: Heusler, Andreas/ Spoerer, Mark/ Trischler, Helmuth (Hrsg.): Rüstung, Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit im „Dritten Reich“, München 2010, S. 1-14.

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, URL: https://www.frankfurt1933-1945.de/nc/beitraege/show/1/thematik/zwangsarbeit/artikel/das-arbeitserziehungslager-heddernheim/ [Zugriff: 03.05.2022].

Meyer, Petra: Das Arbeitserziehungslager Heddernheim unter Berücksichtigung anderer Arbeitslager, ausgehend von den archivalischen Unterlagen und Berichten von Zeitzeugen, Frankfurt am Main 1986.

Pohl, Dieter (Hrsg.): Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung, Arbeit, Folgen, Berlin 2013.

Scharnagl, Hermann: Kurze Geschichte der Konzentrationslager, Wiesbaden 2004.

Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart 2001.

Westermann, Stefan: Entrechtung in mondäner Atmosphäre – NS-Zwangsarbeit in Baden-Baden, Heidelberg 2011. (Masterarbeit PDF)



Foto: HdE

Die Stolpersteine wurden am 6. Mai 2022 in der Hinteren Bleiche 25 verlegt.

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