Hermann Reiling und Flora Reiling, geb. Rosenthal


Hermann Reiling

  • geboren am 30. Januar 1862 in Mainz
  • Am 30. März 1942 im Jüdischen Krankenhaus Mainz verstorben

Flora Reiling, geb. Rosenthal

  • geboren am 1. November 1869 in Frankfurt am Main
  • Am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert
  • Am 21. Februar 1943 in Theresienstadt gestorben

Hermann Reiling wurde am 30. Januar 1862 als zweites von sechs Kindern der Eheleute David und Esther Reiling, geb. Schmalkalden, in Mainz geboren. Sein Vater, der ursprünglich aus der orthodoxen Landgemeinde Auerbach bei Bensheim stammte, war bereits im Alter von 26 Jahren nach Mainz gezogen, hatte dort geheiratet und eine Manufakturwarenhandlung (Meter- und Textilwaren) eröffnet, die er erfolgreich um den Handel mit Gewürzen, Antiquitäten, Kunstgegenständen, Gold und Immobilien erweiterte.

Die Familie gehörte der traditionsorientierten „Israelitischen Religionsgemeinschaft“ der Synagoge an der Flachsmarktstraße an, die sich in der Nähe ihrer Wohnung in der Stadthausstraße 15 befand. 1883 zog die Familie in die Flachsmarktstraße 10 um. 1889 starb Hermanns Vater David mit 56 Jahren, sodass seine Mutter das Geschäft übernehmen musste. Zwei Jahre später nahm sie den Sohn Hermann in die Geschäftsleitung auf.

Am 3. Juni 1892, wenige Wochen vor dem Tod seiner Mutter, heiratete Hermann die aus Frankfurt am Main stammende Flora Rosenthal in deren Heimatstadt. Sie war dort am 1. November 1869 als viertes von sechs Kindern von Seligmann und Sarah Rosenthal, geb. Hess, zur Welt gekommen. Ihr Vater betrieb ein Bank- und Kommissionsgeschäft, in das später auch ihr Bruder Leo einstieg. Hermann und Flora wohnten im ersten Ehejahr noch in der ehemals elterlichen Wohnung in der Flachsmarktstraße 10, zogen dann aber in die Bahnhofstraße 4 um. 1908 erfolgte schließlich der Umzug in die Rheinallee 5.


Blick auf das Gebäude Rheinallee 5 (© Stadtarchiv Mainz, BPS)

Die Ehe von Hermann und Flora Reiling blieb kinderlos. Als strenggläubige jüdische Menschen sah sich das Ehepaar auch der Tradition der Zedakah, der religiös verankerten Wohltätigkeit, verpflichtet. Hermann engagierte sich wie bereits sein Vater im Vorstand des Israelitischen Hilfsvereins sowie in der Leitung des Hospital-Vereins. Flora arbeitete wie viele gut gestellte jüdische Frauen im Vorstand des Mainzer Israelitischen Krankenpflege-Vereins der Frauen und Mädchen.

Als alleiniger Inhaber baute Hermann das elterliche Geschäft, das immer noch unter dem Namen seines Vaters firmierte, sukzessive zu einem erfolgreichen Kunst- und Antiquitätenhandel auf und avancierte damit sogar zum hessischen Hoflieferanten für Großherzog Ernst Ludwig von Hessen. 1899 nahm er seinen jüngeren Bruder Isidor, den Vater der späteren Schriftstellerin Anna Seghers, in die Geschäftsleitung auf. Da Isidors Frau Hedwig aus einer angesehenen Familie des Frankfurter Großbürgertums stammte, ihr Onkel zudem international anerkannter Kunsthändler mit Zweigstellen in Berlin, Paris und London war, konnten sie diese Kontakte nutzen und wurden 1910 zum russischen und 1914 zum preußischen Hoflieferanten ernannt. Als die ursprünglichen Geschäftsräume in der Flachsmarktstraße 10 nicht mehr ausreichten, zog die Kunst- und Antiquitätenhandlung zunächst in die Flachsmarktstraße 2 um. Durch die internationale Expansion kauften die beiden Brüder Hermann und Isidor auch noch das Nachbarhaus Nr. 4.

Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers begannen die Repressalien gegen die jüdische Familie. Im Zuge der Pogromnacht am 9./10. November 1938 wurden sowohl das Geschäft als auch die Wohnung der Reilings verwüstet, Schmuck und Wertsachen entzogen und ihr Geschäft geschlossen. Am 8. März 1940 wurde das Geschäftshaus am Flachsmarkt zwangsweise ‚arisiert‘ und musste verkauft werden. Kurz darauf starb Hermanns Bruder Isidor im jüdischen Krankenhaus Mainz im Alter von 72 Jahren.


Kennkarte von Hermann Reiling (© Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland)

Flora und Hermann Reiling wurden gezwungen, in das ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 53 zu ziehen. Dort lebten sie auf engstem Raum in nur einem Zimmer. Am 30. März 1942 starb Hermann an Kehlkopfkrebs im jüdischen Krankenhaus. Er ist auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Mainz beerdigt. Flora musste noch einmal umziehen, diesmal in das ‚Judenhaus‘ in der Kaiserstraße 32. Am 27. September 1942 wurde sie mit zumeist älteren und kranken Menschen nach Theresienstadt deportiert. Dort starb sie völlig geschwächt am 21. Februar 1943 im Alter von 74 Jahren. Posthum wurde ihr Name auf dem Grabstein ihres Mannes Hermann ergänzt.


Text: Christine Schwarz

Redaktionelle Bearbeitung: HdE



Literaturhinweise:

Ancestry: Stammbäume der Familien Reiling und Rosenthal.

Bad Arolsen Archiv online

Nationalarchiv Prag/Institut Theresienstädter Initiative.

Philips, Michael Stowell: Jews of Kaiserstrasse, JewishGen. 2020.

Stadtarchiv Frankfurt am Main: Adressbuch der Stadt Frankfurt von 1894.

Stadtarchiv Mainz: Adressbücher der Stadt Mainz von 1860–1940.

Stadtarchiv Mainz: Familienregister Mainz Nr. 12082-19980, Nr. 29129-37461.

Stadtarchiv Mainz: Sterberegister der Stadt Mainz von 1876–1950.

Zehmer, Kerstin: Familie Reiling, In: Knigge-Tesche, Renate/ Brüchert, Hedwig (Hg.): Der Neue Jüdische Friedhof (Sonderheft der Mainzer Geschichtsblätter), Mainz 2013, S. 226–235.

Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Kennkarten Mainz 1939.



Die Stolpersteine wurden am 6. Mai 2022 in der Rheinallee 5 verlegt.

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