Dr. Eugen und Hedwig Mannheimer



Dr. Eugen Mannheimer

  • geboren am 7. August 1882 in Bad Wimpfen
  • begeht angesichts der Erlebnisse in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen Tag später gemeinsam mit seiner Ehefrau Selbstmord


Hedwig Klara Mannheimer, geb. Weiß

  • geboren am 2. November 1882 in Bielefeld
  • begeht angesichts der Erlebnisse in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen Tag später gemeinsam mit ihrem Ehemann Selbstmord


Eugen Mannheimer, geboren am 7. August 1882, war eines von fünf Kindern des Wimpfener Kaufmanns Max Mannheimer und seiner Ehefrau Sophie, geborene Levi. Von 1888 bis 1891 besuchte er im damals noch hessischen Wimpfen die Volksschule, anschließend die Realschule. 1898 trat er in das Realgymnasium Darmstadt ein und bestand dort im Jahr 1900 das Abitur. Danach begann der sein Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt im Fachbereich Chemie (Elektrochemie), setzte dies 1901 an der Universität Heidelberg fort, um sich schließlich 1902 an der Gießener Universität einzuschreiben. Bereits im Dezember 1903 schloss er seine Promotion an der Philosophischen Fakultät ab. Seine Dissertation, die er „in Dankbarkeit“ seinen Eltern widmete, wurde 1904 veröffentlicht.

Am 24. März 1910 heiratete Eugen Mannheimer Hedwig Klara Weiß, die Tochter des Bielefelder Hemdenfabrikanten Julius Isaak Weiß und seiner Frau Pauline, geborene Löwenstein. Am 24. Juni 1911 wurde Walter Herbert, der einzige Sohn Eugen und Hedwig Mannheimers geboren. Die Familie lebte viele Jahre in der Kaiserstraße 86.

1907 hatte Eugen Mannheimer seine erste Stelle als Lehrer an der Oberrealschule (ab 1931 auch Reformgymnasium) in Mainz angetreten, die er bis 1933 innehatte. 1925 übernahm der dort die neu geschaffene Funktion des Oberstudienrats, da er als besonders engagiert in der fachlichen und pädagogischen Weiterentwicklung des Unterrichts galt. Daneben war er Vorstandsmitglied und Fachberater Chemie im Deutschen Verein zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts und machte sich einen Namen als Verfasser grundlegender Werke für den Unterricht an höheren Lehranstalten. Darüber hinaus veröffentlichte er zahlreiche Abhandlungen in der Zeitschrift für den physikalischen und chemischen Unterricht, in den Unterrichtsblättern für den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht und in den Südwestdeutschen Schulblättern. Auch in einem zeitgenössischen Sammelwerk moderner Unterrichtsgestaltung findet sich Eugen Mannheimer als Mitarbeiter.

Infolge der ‚Machtübernahme‘ durch die Nationalsozialisten und des von ihnen erlassenen Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde Eugen Mannheimer aus dem Schuldienst entlassen. Aufgrund der zunehmenden Ausgrenzung wandte er sich dem Judentum wieder stärker zu, dem er sich zuvor eher entfremdet hatte. Seine Frau Hedwig folgte seinem Wiedereintritt in die jüdische Gemeinde 1933 wohl nicht. Mit dem Berufsverbot an staatlichen Schulen belegt, nahm Mannheimer 1934 seine Tätigkeit an der vom NS-Regime geduldeten Jüdischen Bezirksschule, die der Neuen Synagoge Mainz in der Hindenburgstraße angegliedert war. Leiter der Schule war der Rabbiner Dr. Sali Levi, Dr. Eugen Mannheimer war sein Stellvertreter. Als Levis hauptamtliche Verpflichtungen diesen zwangen, die Schulleitung aufzugeben, wurde Eugen Mannheimer im Mai 1936 dessen Nachfolger.


Dr. Eugen Mannheimer (Mitte) im Kreis des Lehrer*innenkollegiums der Jüdischen Bezirksschule Mainz
(© Stadtarchiv Mainz, BPSF21021a)

Die Schule hatte mittlerweile 200 Schüler*innen, die allesamt aufgrund des ansteigenden Antisemitismus‘ ihre staatlichen Schulen verlassen hatten. Neben der umfangreichen Verwaltungsarbeit unter strengster Aufsicht durch die NS-Behörden, versuchte die Leitung der Schule auch das besorgte Kollegium zu unterstützen und den Schüler*innen sowie deren Eltern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Das Thema Emigration war im Alltag der Schule ständig präsent. So lag ein starker Akzent auf den Sprachen. Eugen Mannheimer betonte aus gegebenem Anlass, „wie notwendig es ist, unsere Schüler durch Fremdsprachen-Unterricht zur Auswanderung vorzubereiten.“ (StA Mz, Best. 70/1406) Viele jüdische Familien verließen mit ihren Kindern das Deutsche Reich; auch Lehrkräfte wanderten aus.

Gerade nach den Ereignissen der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 versuchten viele jüdische Familien Deutschland zu verlassen – hatten sie mit den Ausschreitungen doch die Hoffnung in ihrer Heimat bleiben zu können, verloren. Einer der Ehemaligen der Bezirksschule, Helmut Grünfeld, berichtet in seinen Erinnerungen über Mannheimers „tiefbestürzten Ausdruck“ angesichts der Zerstörungen des staatlich gesteuerten Pogroms in Mainz. „Kinder, geht bitte gleich nach Hause!“ so Mannheimers verzweifelte Aufforderung. „Dann eilte er in Richtung seiner zerstörten Schule. Es waren die letzten Worte, die wir von ihm hörten.“ (Helmut Grünfeld)

In der darauffolgenden Nacht auf den 11. November 1938 drangen ehemalige Schüler*innen der Oberrealschule in die Wohnung ihres einstigen Lehrers Am Rosengarten 17 ein und zerschlugen das Mobiliar. Noch in derselben Nacht nahmen sich Eugen und Hedwig Mannheimer das Leben.
Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mainz ließ in das Sterberegister eintragen: „[…] in genannter Wohnung tot aufgefunden […]. Tag und Stunde des Todes stehen nicht fest. Der Verlebte [sic!] wurde am 10. November 1938 nachmittags zuletzt lebend gesehen. […] Todesursache: Freitod durch Leuchtgasvergiftung.“ (StA Mz, Sterberegister der Stadt Mainz 1938, Nr. 1693 und 1694; StA Mz, Best. ZGS/E 2,59)

Der einzige Sohn der Mannheimers, Walter, hatte 1929 am heutigen Rabanus-Maurus-Gymnasium sein Abitur gemacht. Nach Medizinstudium und Promotion in Basel emigrierte er 1935 in die USA. Das Schicksal des Ehepaares Mannheimer ist besonders tragisch, da sie noch im Sommer 1938 ihren Sohn in den USA besucht hatten, danach aber nach Mainz zurückkehrten. Angesichts des brutalen Überfalls auf ihre Wohnung im Zuge des Novemberpogroms 1938 durch eigene ehemalige Schüler*innen, die nun der NS-Ideologie anhingen, sahen Eugen und Hedwig Mannheimer offenbar keinen anderen Ausweg als den Tod.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges reiste Walter Mannheimer mit seiner Frau Ilse Sophie Holz nach Mainz und besuchte hier die Gräber seiner Eltern. 1991 nahmen sie an einer Begegnungswoche in Mainz teil, um sich dort mit weiteren emigrierten jüdischen Familien aus Mainz zu treffen. 


Foto: HdE

Verfasser: Reinhard Frenzel

Redaktionalle Bearbeitung: HdE



Quellen- und Literaturhinweise:

Brodhaecker, Michael: Menschen zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Der Alltag jüdischer Mitmenschen in Rheinhessen, Mainz und Worms während des „Dritten Reichs“ (Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz, Bd. 26), Mainz 1999.

Faustmann, Karl: Die Oberrealschule in den letzten 25 Jahren (1906–1931), in: Jahrhundertfeier der Mainzer Realanstalten 1831–1931. Festschrift der Oberrealschule und des Reformrealgymnasiums, Mainz 1931, S. 25–40.

Grünfeld, Helmut: Gerechte gab es nicht viele. Ein deutsch-jüdisches Überlebensschicksal in Mainz 1928–1945, Konstanz 1996.

Hartwig-Thürmer, Christine (Hg.): Rückkerh auf Zeit. Vier Begegnungswochen Mainzer Juden 1991–1995. Eine Dokumentation (Magenza, Bd. 2), Mainz 1999.

Kern, Karl: Das Reformrealgymnasium, in: Jahrhundertfeier der Mainzer Realanstalten 1831–1931. Festschrift der Oberrealschule und des Reformrealgymnasiums, Mainz 1931, S. 41f.

Link, Helmut/ Scherf, Ferdinand (Hg.): Begegnungen. Das Gespräch mit dem Judentum an einer Mainzer Schule. Rabanus-Maurus-Gymnasium Mainz, Mainz 1988.

Stadtarchiv Mainz: Adressbücher der Stadt Mainz 1910–1938; Best. ZGS/E3,11; Best. ZGS/E 2,59; Best. 70/1406; Familienregister der Stadt Mainz Nr. 54388.




Foto: HdE

Die Stolpersteine wurden am 19. September 2023 Am Rosengarten 17 verlegt.


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