Elisabeth Weiss, geb. Michel
- Geboren am 25. Dezember 1883
- Deportiert am 30. September 1942
Julius Weiss
- Geboren am 8. April 1880
- Deportiert am 30. September 1942
Die Familie Weiss ist die älteste in Hechtsheim nachweisbare jüdische Familie. Sie lebte schon im Dorf, noch bevor durch napoleonisches Dekret 1808 die Juden Familiennamen annehmen mussten und sie sich den Namen Weiss zulegten. Aus dieser alteingesessenen und weit verzweigten Familie stammte Julius Weiss. Er kam als jüngstes von acht Kindern der Eheleute Abraham und Elisabetha (Elise) Weiss, geborene Simon, am 8. April 1880 zur Welt und ist ein Bruder von Clara Weiss. Beruflich trat er in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Viehhändler.
Im Jahr 1906 heiratete er die am 25. Dezember 1883 geborene Hechtsheimerin Elisabeth Michel. Deren Vater Levi Michel stammte aus Sörgenloch, die Mutter Zerline (Caroline), geborene Lorch, aus Dieburg. Levi Michel war Metzger von Beruf, betrieb mit seiner Frau eine Milchhandlung in Mainz und war seit 1867 in Hechtsheim ansässig. Die Eltern von Julius und Elisabeth Weiss ruhen auf dem Hechtsheimer jüdischen Friedhof.
Das Ehepaar wohnte im eigenen Haus in der Borngasse 1, heute „Am oberen Born 1“. Das Haus bot mit Erdgeschoss und zwei weiteren Stockwerken ausreichend Platz für die später siebenköpfige Familie und war gut eingerichtet. Mit dem Verkauf von 600-700 Stück Großvieh im Jahr gehörte Julius Weiss zu den erfolgreichen Vertretern seines Fachs in der kleinen Gemeinde. Darüber hinaus inserierte er im „Hechtsheimer Anzeiger“, dem offiziellen Mitteilungsblatt der Gemeinde, gelegentlich den Verkauf von Milchprodukten, etwa zu den Osterfeiertagen oder zum „weißen Sonntag“. Seine Frau Elisabeth führte in der Mainzer Neubrunnenstraße 12 die von den Eltern übernommene Milchhandlung. Julius Weiss war ein in der Gemeinde bekannter und geachteter Mensch. Er war aktiv im Geselligkeits- und Theaterverein „Club Einigkeit 1908“ und gehörte nach seiner Wahl zum Vorsteher der jüdischen Hechtsheimer Gemeinde im Jahr 1929 zu den dörflichen Honoratioren – man nannte ihn auch den „israelitischen Bürgermeister“.
Das Ehepaar Weiss hatte fünf Kinder: die Söhne Josef, Eugen, Emil und die Tochter Cäcilie, die zwischen 1906 und 1910 geboren wurden, sowie den jüngsten, erst 1921 geborenen Sohn Arnold. Die Eltern ermöglichten den älteren Kindern nach dem Besuch der ersten Volksschuljahre in Hechtsheim den Wechsel auf weiterführende Schulen in Mainz. Die ältesten drei Söhne besuchte das Mainzer Realgymnasium, absolvierte danach eine kaufmännische Ausbildung in der Eisenwarenhandlung Kahn & Metzger in der Mainzer Heiliggrabgasse und bleib dort viele Jahre tätig.
Eugen Weiss war aktiv im Hechtsheimer Männergesangverein, als dieser sich nach dem Ersten Weltkrieg neuformierte. Im Jahr 1935 heiratete er Sofie Alice Löb aus Obermoschel/Pfalz und zog dorthin. Im September 1938 gelang ihm mit seiner Frau die Auswanderung in die USA. Mit ihr und seinen Kindern nahm er 1991 an der ersten Begegnungswoche Mainzer Juden teil und blieb Hechtsheim über viele Jahre verbunden.
Emil Weiss war bereits 1931, wahrscheinlich im Rahmen einer frühen Hachscharah, nach Palästina ausgewandert und arbeitete dort in einem Kibbuz.
Josef Weiss ging in die USA, kam aber nach 1945 nach Deutschland zurück und wurde als Pferde- und Viehhändler in Recklinghausen ansässig.
Cäcilie Weiss hatte nach der Hechtsheimer Volksschule, die von der Israelitischen Religionsgesellschaft betriebene Bondischule besucht, so benannt nach dem orthodoxen Rabbiner Dr. Jonas Markus Bondi, dem langjährigen Leiter der Schule. Von 1921 bis 1926 war sie Schülerin der Mainzer Höheren Mädchenschule. Sie folgte ihrem Bruder 1936 nach Palästina und lebte dort verheiratet als Cäcilie Keins.
Der jüngste Bruder Arnold Weiss hatte seine gesamte Schulzeit bis 1935 in der Hechtsheimer Volksschule verbracht und dort alle Ausgrenzungen erlitten, denen jüdische Kinder damals ausgesetzt waren. Anschließend ging er zur kaufmännischen Ausbildung in die Firma Abt & Kahn-Hut, eine Großhandlung für Sattler- und Polsterbedarf in Mainz, und besuchte die Berufsschulklasse der jüdischen Bezirksschule. Mit Unterstützung einer Tante väterlicherseits gelang ihm Ende Januar 1939 die Flucht in die USA. 1945 kam er als amerikanischer Soldat erstmals in seine Heimatgemeinde zurück. In den Vereinigten Staaten heiratete er die aus Bensheim-Auerbach stammende Ruth Marchand-Hahn, mit der er 1991 zur ersten Begegnungswoche Mainzer Juden kam. Wie sein Bruder Eugen blieb auch er Hechtsheim über viele Jahre verbunden.
Julius Weiss blieb als Vorsteher der Hechtsheimer jüdischen Gemeinde in seinem Amt bis zu deren zwangsweiser Auflösung 1938. Schon 1934 hatte er sich, vielleicht zur Vorbereitung der Auswanderung, um die Ausstellung eines Reisepasses bemüht, die ihm jedoch verweigert wurde. Die mit Beginn der NS-Herrschaft einsetzende Ausgrenzung und das Verbot von Geschäften mit jüdischen Viehhändlern machten seine wirtschaftliche Existenz zunehmend zunichte. In der Pogromnacht des 9./10. November 1938 wurde das Haus der Familie Weiss weitgehend zertrümmert, sodass an einen Verbleib in Hechtsheim nicht zu denken war.
Am 18. November 1938 flohen Julius und Elisabeth Weiss nach Mainz. Sie wohnten zunächst in der Mittleren Bleiche 19, wohin Elisabeth Weiss das zunehmend schlechter laufende Milchgeschäft verlegt hatte. Nach dem Pogrom zog ein SA-Posten vor dem Geschäft auf, um nichtjüdische Kunden am Betreten zu hindern. Schließlich wurde den Eheleuten die Schließung des Geschäfts befohlen.
In Vorbereitung der geplanten Deportationen und der Einrichtung von „Judenhäusern“ mussten die Eheleute Weiss in ein Zimmer der Klarastraße 13 ziehen, ein Haus, das der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gehörte. Dort waren sie zuständig für die Gemeindespeise- und Kaffeestube. Von hier aus wurden sie am 30. September 1942 über Darmstadt nach Polen deportiert und kurz darauf, vermutlich in Treblinka, ermordet.
Text: Renate Knigge-Tesche
Redaktionelle Bearbeitung: HdE
Literaturhinweise und Quellen:
Auskunft Reinhard Frenzel, Mainz, zur Höheren Mädchenschule Mainz.
Hartwig-Thürmer, Christine: Rückkehr auf Zeit – Vier Begegnungswochen Mainzer Juden 1991–1995. Eine Dokumentation, Mainz 1999, S. 184 f.
Keim, Anton Maria / Verein für Sozialgeschichte Mainz e.V. (Hrsg.): Als die letzten Hoffnungen verbrannten. 9./10. November 1938. Mainzer Juden zwischen Integration und Vernichtung, Mainz 1988, S. 89 f.
Stadtarchiv Mainz: Geburtenregister Hechtsheim 1880 Nr. 28 u. 1883 Nr. 105, Heiratsregister Hechtsheim 1906 Nr. 14.
Stadtarchiv Mainz: Adressbücher der Stadt Mainz ab 1908 inkl. Gemeinde Hechtsheim.
Stadtarchiv Mainz: Best. 070/17157; Best. ZGS/Z 5, 1994/34; Best. VOA 12/359; Best. VOA 12/40; Best. VOA 12/2226.
Stadtarchiv Mainz: NL Oppenheim 51,20, S. 14; Deportationsliste vom 30. September 1942.
Keim, Anton Maria / Verein Hechtsheimer Ortsgeschichte (Hrsg.): Von Süssel Hechtsheim bis David Kapp. Die Hechtsheimer Juden (Schriftenreihe des Verein Hechtsheimer Ortsgeschichte, H. IV), Mainz 1994, S. 22 f., 31 f. u. 37.
Die Stolpersteine wurden am 24. Juni 2023 Am Oberen Born 1 in Mainz-Hechtsheim verlegt.